Is the Tea Party More Than a Flash in the Pan?

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Der Zorn der Provinz: Ist die Tea Party mehr als ein Strohfeuer?

GÜNTER BISCHOF (Die Presse)

10 November 2010

Eine Partei ohne Programm, ohne Zentrale, ohne echte Führer: ein Versuch, das amerikanische Phänomen Tea Party zu erklären.

Was soll man von einer Partei halten, die keine Parteizentrale hat, kein Parteiprogramm und keinen wirklichen Parteichef oder Generalsekretär? Sarah Palin ist lediglich die Möchtegern-Anführerin, Glenn Beck ein Möchtegern-Ideologe. Eine Partei, die ohne Kopf agiert, könnte den Weg aller Drittparteien in der amerikanischen Geschichte gehen (erinnert sei an Ross Perot): das Aufflackern eines kurzlebigen Strohfeuers, das war’s dann.

Aber so leicht kann man es sich mit der Tea Party machen. Unter den 60 neuen Abgeordneten und sechs Senatoren der Republikaner, die im Jänner 2011 im Kongress ihre Sitze einnehmen werden, sind immerhin ein Drittel der Tea Party zuzurechnen und werden aus dem undurchsichtigen Umfeld dieser Bewegung finanziell unterstützt. Sie werden zumindest zwei (Repräsentantenhaus), beziehungsweise sechs Jahre (Senat) in Washington aktiv sein und den Volkszorn der Provinz in den ehrwürdigen Hallen des Kongresses artikulieren.

Wer aber sind die Tea-Party- Leute? Man könnte sie als ein Sammelsurium wütender Aktivisten der weißen Mittelklasse Amerikas beschreiben. Es sind vor allem Männer, obwohl sich zuletzt Kandidatinnen wie Sharron Angle in Nevada und Christine O’Donnell in Delaware prominent in den Vordergrund gespielt haben. Beide aber sind Washington-Insidern am Wahltag unterlegen. Die prominentesten Vertreter der Tea Party sind die neu gewählten Senatoren Rand Paul aus Kentucky und Marco Rubio aus Florida. Sie werden angetrieben von einem unbändigen Anti-Washington-Gefühl.

Sarah Palin „twittert“

Die Tea Party ist viel mehr eine Graswurzelbewegung als eine herkömmliche Partei. Der Volkszorn wird tagtäglich angefeuert von prominenten Talkshow-Gastgebern wie Glenn Beck und Sean Hannity vom Fox Network sowie von Rush Limbaugh in seinem Radioprogramm mit Millionen treuer Zuhörer. Die Kommunikation unter den Tea-Party-Anhängern erfolgt nicht gestrafft über eine Parteizentrale, sondern locker mittels regelmäßiger Berieselung über neue Kommunikationsmedien, inklusive digitaler sozialer Medien. Sarah Palin etwa „twittert“ regelmäßig mit ihren Anhängern.

Die Bewegung setzt sich aus tausenden kleinen lokalen Zellen zusammen, die wenig nationalen Zusammenhalt haben, sondern die locker durch die neuen Medien vernetzt sind. Es passt in dieses Bild, dass der Anfang der Tea Party auf einen effektvollen Wutausbruch des Wirtschaftskorrespondenten Rick Santelli auf dem Nachrichtensender CNBC im Februar 2009 gegen Barack Obamas Wirtschaftspolitik zurückgeht.

Santelli berief sich dabei auf die Gründerväter Thomas Jefferson und Benjamin Franklin, die sich angesichts von Obamas Rettungsaktion für die Wall Street im Grab umdrehen würden. Und er rief zu einer neuen „Tea Party“ auf. Damit wollte er die US-Bürger anstacheln, es den Einwohnern von Boston gleichzutun, die im Dezember 1773 eine Schiffsladung Tee in den Hafen von Boston geleert hatten.

Knapp zwei Monate später, am 15.April, dem Tag, an dem die Amerikaner jährlich ihre Steuererklärung abliefern, kam es dann im ganzen Land zu „Tea Parties“ gegen die verschwenderische Regierung in Washington, die nicht auf das Volk hören wolle. Damit war jene Bewegung geboren, die künftig der Obama-Regierung das Regieren sehr schwer machen wird.

Was motiviert ihre Anhänger? An erster Stelle die wirtschaftliche Misere im Lande. Die Wirtschaftskrise der 1890er-Jahre erzeugte die radikale Populistenpartei, die große Depression der 1930er-Jahre eine Reihe radikaler Drittparteien.

Schere Arm–Reich wird größer

In der Krise 2008 verloren Millionen von Amerikanern ihren Job und ihren Lebensunterhalt. Bei der fehlenden sozialen Abfederung des minimalistischen amerikanischen Sozialstaates fallen solche Leute rascher in die Armut und können leichter radikalisiert werden. Die Schere zwischen Armen und Reichen in den USA ist größer als je zuvor. Ein Prozent der Amerikaner nehmen heute 25Prozent des nationalen Einkommens in Anspruch, zu Ronald Reagans Zeiten waren es noch zehn Prozent!

Die Arbeitslosigkeit war 2009 über zehn Prozent und lag zum Zeitpunkt der Halbzeitwahlen immer noch bei 9,5Prozent. Millionen Leute haben in der gewaltigen Immobilienblase ihre Häuser verloren. Weitere zwei Millionen sitzen in Häusern, deren Hypotheken weit höher sind als der Marktwert der Gebäude selbst.

Das Land macht jedes Jahr Milliarden neuer Schulden. Obama wird der Trillionenschuldenberg zur Last gelegt und nicht etwa der Vorgängerregierung von George W. Bush, die durch die sündteuren Kriege im Irak und in Afghanistan und durch die Rettungsaktion für die Wall Street im Krisenjahr 2008, erst die Grundlage für den Volkszorn gegen die „Rettung der Reichen“ schuf. Obama stolperte in diese Wirtschaftskrise und wird dafür als Präsident verantwortlich gemacht.

„Regierung ist das Problem“

Das „Programm“ der Tea Party lässt sich auf „niedrigere Steuern, weniger Regierung, mehr Freiheit“ reduzieren. Es ist also vorauszusehen, dass die Steuersenkungen der Bush-Regierung für die Reichsten des Landes, die mit Jahresende auslaufen, vom neuen Kongress verlängert werden und die von Obama vorgesehenen Steuererhöhungen für Einkommen mit über 250.000Dollar im Jahr nicht vom neuen Kongress toleriert werden.

Wie mit massiven Steuersenkungen ausgeglichene Jahreshaushalte in Washington erzielt werden sollten, hat noch kein Kandidat der Tea Party schlüssig erklärt.

„Weniger Regierung und mehr Freiheit“ soll den Rückzug der Regierenden in Washington aus vielen politischen Bereichen bedeuten. Diese Forderung geht auf Reagans berühmten Sager von 1981 zurück: „Die Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme, die Regierung ist unser Problem.“ So wollte Sharron Angle in Nevada, die Senatsführer Harry Read in Nevada unterlag, gleich das Energie- und Unterrichtsministerium abschaffen. Obamas Gesundheitsreform, Einwanderungs- und Umweltpolitik sind für die Tea-Party-Anhänger sowieso untragbar.

Bereit zu Kompromissen?

Für viele Tea-Party-Anhänger, die die amerikanische Verfassung als von Gott inspiriert sehen, ist vor allem der Aktivismus liberaler Höchstrichter in sozialen Fragen ein Hauptproblem. An der von den Gründervätern geschaffenen Verfassung wollen sie keinen Beistrich geändert sehen. Überhaupt haben sie es mit der amerikanischen Geschichte, deren skeptische Interpretation durch liberale Historiker sie als Fälschung, Blasphemie und Verschwörung brandmarken.

Die große Frage wird sein, ob die nun gewählten Tea-Party-Leute ihren Zorn bändigen können und sie kompromissbereit an die politische Arbeit gehen wollen. Dann müssten sie aber über die inkohärenten Einzelinteressen einer Graswurzelbewegung hinausgehen, um mehr zu werden als nur ein Strohfeuer: nämlich eine neue, dritte Partei mit gestalterischem Potenzial.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 10.11.2010)

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