Die Stunde der Bewährung
Der Streit mit Washington war von seltener Schärfe – in der Sache aber hat die Kanzlerin recht: Die amerikanische Forderung, Obergrenzen für Leistungsbilanzüberschüsse festzulegen, verträgt sich nicht mit einer freiheitlichen Weltwirtschaftsordnung.
Ob die „Chemie“ zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama stimmt oder nicht, ist auch in Zeiten nicht unwesentlich, in denen die Handlungsspielräume der Regierenden auf vielfache Weise eingeschränkt sind. Gutes persönliches Einvernehmen hilft über sachlichen Dissens unter Partnern hinweg. Fehlt es daran, können Meinungsverschiedenheiten zu giftigen Auseinandersetzungen ausarten – wie jetzt in der deutsch-amerikanischen Debatte über die richtige Finanz- und Geldpolitik.
Zwar haben sich auch frühere Präsidenten und Kanzler Fernduelle über (un-)vernünftige Wachstumsstrategien geliefert; aber der jüngste Streit zwischen Washington und Berlin war schon von seltener Schärfe. Dass er öffentlich so geführt wurde und vor Beginn des G-20-Treffens eine deutsch-amerikanische Konfrontation an die Stelle des chinesisch-amerikanischen Währungsdisputs trat – das hätte vermieden werden können.
Isoliert: Barack Obama beim G-20-Gipfel in Seoul
In der Sache hat die Bundeskanzlerin recht: Die amerikanische Forderung, Obergrenzen für Leistungsbilanzüberschüsse festzulegen, verträgt sich nicht mit einer freiheitlichen Weltwirtschaftsordnung. Frau Merkel hatte auch recht, Obama darin nicht nachzugeben. Natürlich müssen alle Länder ihren Teil dafür tun, damit die Weltwirtschaft nachhaltig wächst, und allein kann (und will) Amerika die Karre nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Aber die Zweifel an dem jetzt eingeschlagenen Weg sind berechtigt, auch wegen der Ursachen der Krise.
Die Mitglieder der Seilschaft müssen dasselbe Ziel anstreben
Beteuerungen der resoluten Kanzlerin und des innenpolitisch geschwächten Präsidenten, dass die drängenden Probleme nur gemeinsam zu meistern seien, treffen für Deutschland und die Vereinigten Staaten im Besonderen wie für die in Seoul versammelten Staaten im Allgemeinen zu. Daran zu erinnern, ist eine Banalität, aber offenkundig doch notwendig; zumal jetzt, da einige Schwellen- und Industrieländer die Krise schon überwunden haben, während andere noch immer mit den Auswirkungen kämpfen, auch mit den politischen.
Zum Thema
G-20-Gipfel in Seoul: Großes Lächeln, kleiner Kompromiss
G-20-Gipfel: Vereinigte Staaten in Seoul isoliert
Greenspan und King machen China für Ungleichgewichte verantwortlich
Amerika wünscht Zielgrößen für Handelsbilanzen
Die These der globalen Ungleichgewichte ist umstritten
Insofern schlägt den G 20 die wahre Stunde der Bewährung vielleicht erst jetzt. Dieses Format für eine globale Wirtschaftkoordination muss man nicht verklären; dafür durchfurchen zu viele Gegensätze den Kreis. Aber wenn schon Gipfelanstrengungen unternommen werden, sollten die Mitglieder der Seilschaft zumindest dasselbe Ziel anstreben. Sonst könnten sie abstürzen.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.