Julian Assange – Überflüssiger Märtyrer
08.12.2010
Ausgerechnet auf dem Höhepunkt einer Hetzkampagne wegen der Veröffentlichung amerikanischer Geheimdokumente auf Wikileaks setzt die britische Polizei Assange fest – offiziell nicht deswegen, sondern wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung.
Wikileaks-Gründer Julian Assange Die Festnahme ist so skandalträchtig wie überflüssig. Der Vorgang schafft einen Märtyrer, und er wirft die Frage auf, ob es hier tatsächlich um die – rechtsstaatlich gebotene – Klärung des Vergewaltigungsvorwurfs geht. Oder eher darum, einen Mann aus dem Weg zu schaffen, der in der Wahrnehmung zahlreicher US-Politiker inzwischen als Staatsfeind Nummer eins firmiert. Und das, obwohl noch niemand darlegen konnte, welchen Verbrechens sich Assange mit der Veröffentlichung der vertraulichen Dokumente schuldig gemacht haben soll – oder warum deren Publikation auf Wikileaks ein Vergehen sein soll, die in der “New York Times” aber nicht.
Das ohnehin angekratzte Ansehen der USA jedenfalls dürfte Assanges neuer Märtyrerstatus noch weiter ramponieren. Und ob die offen gehegte Hoffnung der US-Regierung aufgeht, mit Assange möge auch Wikileaks von der Bildfläche verschwinden, ist fraglich. Eine Plattform wie Wikileaks sollte ohnehin ohne einen Frontmann auskommen, der ebenso schillernd wie polarisierend wirkt und dessen autokratischer Führungsstil bereits vor einigen Monaten mehrere wichtige Mitarbeiter verscheucht hatte.
Im Sinne der Meinungsfreiheit ist zu wünschen, dass Wikileaks die Angriffe überlebt – oder dass die Plattform würdige Nachfolger findet, die die Herausforderung annehmen, Dokumente zu veröffentlichen, die Korruption und Machtmissbrauch bloßstellen.
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