Kein Komitee würde Barack Obama heute einen Friedenspreis andienen. Die Führungskraft der Welt strauchelt und droht die Orientierung zu verlieren. Und Wikileaks erhöht die Pein der USA.
Ein Jahr ist es diese Woche her, dass Barack Obama in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Für das Nobelkomitee war es eine Wette auf die Zukunft. Der Preisträger wurde nicht für erbrachte Leistungen ausgezeichnet. Sondern für „außergewöhnliche Bemühungen“ um Abrüstung, Aussöhnung und ein neues Klima der Zusammenarbeit – mithin für die gewaltigen Hoffnungen, die er weckte. Für Obama war es, wie man heute weiß, der letzte Auftritt als messianische Lichtgestalt der internationalen Politik. Mit dem Abstand eines Jahres ließe sich leicht begründen, warum die Wahl des Nobelkomitees ein Fehlgriff gewesen sei. Die Welt erlebt in diesen Tagen keinen mutigen, zupackenden Präsidenten der USA. Sondern einen, der überall auf dem Rückzug scheint. Dem nichts gelingt, der strauchelt, die Orientierung zu verlieren droht. Der das Schiff nicht mehr steuert, sondern mit ihm hin und her geworfen wird von den Wogen.
Dabei hat sich am Kurs nichts geändert. „Die heutige Welt ist eine Feuerprobe von Herausforderungen, die die amerikanische Führung testen“, hat Obamas Außenministerin Hillary Clinton gerade in einem Aufsatz geschrieben. Clinton argumentiert darin, dass eine zunehmend unübersichtliche Welt mehr denn je kollektive Lösungen und internationale Kooperation erfordere und dass nur eine Nation in der Lage sei, dieses gemeinsame Handeln zu mobilisieren: die Vereinigten Staaten. Das war und ist, auf den Punkt gebracht, die Obama-Doktrin. Sie stellt einerseits einen klaren Bruch dar mit den unilateralen Allmachtsfantasien eines George W. Bush. Doch auch für Obama bleiben die USA die unverzichtbare Nation, gleichsam Motor und Katalysator der Weltpolitik. Letztlich hat das auch dasNobelkomitee so gesehen, als es dem Mann im Weißen Haus auftrug, aus der Welt eine bessere zu machen.
Das waren fromme Wünsche. Dass es mit der Führungskraft derzeit nicht weit her ist, lässt sich fast täglich beobachten. Beim G-20-Gipfel waren die USA das wirtschaftliche Sorgenkind. Zur Klimakonferenz in Cancún reisten Obamas Unterhändler mit leeren Händen an, weil der Präsident sich daheim in der Frage nicht durchsetzen kann. Die nächste Runde der Atomwaffenverschrottung mit Russland droht ausgerechnet in Washington zu scheitern, am Widerstand der Republikaner, die Amerikas bröckelnde Macht lieber durch modernere Sprengköpfe absichern wollen.
Selbst die vertraulichen Botschaftsdepeschen, deren Lektüre wir dem Dilettantismus amerikanischer Datenschützer und Wikileaks verdanken, kann man als Nachweis lesen, wie sehr die unverzichtbare Nation schwächelt. Die Räder der US-Diplomatie drehen sich rege, doch sie drehen oft durch. „Amerika mangelt es an Einfluss“, analysiert der kluge Kolumnist Thomas Friedman bitter. Washington schlägt sich herum mit falschen Freunden, unwilligen Alliierten, aufmüpfigen Rivalen. Pakistan spielt ein doppeltes Spiel, das saudische Königshaus spricht mit gespaltener Zunge. Selbst Zwerge wie Slowenien oder das Pazifik-Eiland Kiribati lassen sich jeden Gefallen entgelten. Und alle sind jetzt sauer, weil Washington nicht mal vertrauliche Absprachen unter Verschluss halten kann.
Nun gibt es noch immer viele gute Gründe, keine voreiligen Abgesänge auf die Vereinigten Staaten anzustimmen. Militärisch gibt es auf absehbare Zeit keinen ebenbürtigen Rivalen. Erst in anderthalb Jahrzehnten wird Chinas Milliardenvolk mehr produzieren als die USA. Kein Rivale ist so global aufgestellt. Niemand hat mehr Verbündete, auch wenn sich dahinter oft Zweckgemeinschaften verbergen. „Einige Regierungen machen mit uns Geschäfte, weil sie uns fürchten, einige, weil sie uns respektieren, die meisten, weil sie uns brauchen“, sagt Pentagonchef Robert Gates. Das mag sogar stimmen. Doch es fällt zunehmend schwer, noch nobelpreiswürdige Hoffnungen mit dem Namen Obama zu verbinden.
Zu bedrängt ist der Präsident daheim von einer dramatisch erstarkten Opposition, die ihm auch außenpolitisch kaum einen Erfolg gönnt. Zu angeschlagen wirkt die schwächelnde Weltmacht in der internationalen Arena. Die hehren Ziele sind in weite Ferne gerückt, die Aussöhnung mit der islamischen Welt, die Abschaffung aller Atomwaffen. Umso wichtiger freilich ist die Obama-Doktrin. Gelingt es dem Präsidenten, jenes Geflecht internationaler Beziehungen zu knüpfen, mit dem sich irgendwann tatsächlich die großen Probleme der Welt lösen lassen, dann wäre auch das eine historische Leistung.
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