Ein trauriger Tag für Amerika
Von Thomas Spang
9. Jan 2011
Monatelang heizte die politische Rechte das Klima in den USA auf. In dieser vergifteten Atmosphäre griff ein junger Mann zur Waffe.
Die Grenze zwischen dem, was früher als „extrem” und heute als „normal” im politischen Diskurs der USA angesehen wird, hat sich bereits vor einiger Zeit verschoben. Wer den hysterischen Mob bei den Tea-Party-Protesten gegen die Gesundheitsreform erlebte, ist mit den abstrusen Ideen, die in diesen Kreisen zirkulieren, bestens vertraut. Nicht wenige Anhänger der Rechtspopulisten leben in Fantasiewelten, die Fakten und Fiktion wild durcheinanderwürfeln. Auf diesem Boden blühen nicht nur Verschwörungstheorien. Er bringt auch Gestalten hervor, die sich als Retter einer angeblich bedrohten Freiheit berufen fühlen.
Arizona ist dafür ein Musterbeispiel. Die republikanische Gouverneurin Jan Brewer höchstpersönlich trug zur Mär bei, der Bundesstaat werde von mexikanischen Drogenkartellen und Illegalen angegriffen. Sie behauptete, in der Wüste würden Leute enthauptet, die Hauptstadt Phoenix sei die neue Entführungsmetropole der Welt. Beides war frei erfunden und sollte nur ihre Wiederwahl sichern. Tatsache ist die Militanz der Sprache der Tea-Party-Bewegung. Deren Anführerin Sarah Palin nahm im Kongresswahlkampf Ende 2010 sprichwörtlich Abgeordnete ins Visier. Darunter auch Gabrielle Giffords, deren Büro auf dem Höhepunkt der Gesundheitsreformdebatte im März 2010 angegriffen wurde. Ihr Tea-Party-Gegner lud im Wahlkampf zum Schnellfeuer-Schießen ein.
Wenn aus Worten Taten werden, senden diese Politiker und ihre Claqueure dann Beileidsnoten – als hätten sie nichts damit zu tun, wenn einer wie der Mörder von Arizona die Rhetorik allzu wörtlich nimmt. Doch am Ende spielt es keine Rolle, wie geschlossen das Weltbild des Täters ist. Entscheidend ist, dass er sich ermutigt fühlte, einer politischen Gegnerin tatsächlich eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
Leider handelt es sich um keinen Einzelfall, sondern einen Trend. Nach dem Anschlag auf das Holocaust-Museum in Washington und dem Mord an einem Abtreibungsarzt ist dies die dritte tödliche Eskalation politischer Gewalt binnen Jahresfrist. Die Täter mögen eine verwirrte Weltsicht haben. Das befreit sie nicht vom Vorwurf, einheimische Terroristen zu sein. In den USA wird es höchste Zeit, verbal abzurüsten. Wer in diesem Klima weiter Öl ins Feuer gießt, trägt Mitverantwortung für Taten wie den Anschlag von Tucson. Er traf eine einzelne Abgeordnete, greift aber die Demokratie an. Ein trauriger Tag für Amerika.
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