America Must Come to Terms with Itself

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Die Amerikaner müssen sich mit sich selbst versöhnen

Von Michael Stürmer|

09.01.2011

Nach dem blutigen Anschlag auf Gabriella Giffords schauen die Amerikaner in einen Spiegel, der von Hass und Angst verzerrt ist.

Gabrielle Giffords’ Name wird mit Blut eingeschrieben werden in die Geschichte der Vereinigten Staaten. Seit dem Anschlag auf Präsident Ronald Reagan vor fast 30 Jahren hat es ein solches Ereignis nicht gegeben.

Dieser Mordanschlag kommt aus einer Stimmung des Haders und des Selbstzweifels, weil Amerika seine Grenzen der Macht Tag für Tag erlebt, ob an fernen Fronten, ob im Unfrieden zu Hause. Das war noch nie so. Immer hieß es: Yes we can. Heute herrscht breiter Pessimismus – wegen der Finanzkrise, wegen Irak und Afghanistan, alles verlorene Siege.

Vielleicht war der Schütze ein verwirrter Geist mit Schnellfeuerwaffe, ein Einzelgänger. Vielleicht war er politischer Überzeugungstäter mit Hintermännern. Es wird Zeit brauchen, Einzelheiten und Motive einer Tat herauszufinden, die nicht nur die Vereinigten Staaten erschüttert.

Es hatte Warnzeichen gegeben, auch im engsten Umkreis der Abgeordneten, die sich leidenschaftlich für die Gesundheitsreform engagiert hatte, jenes tief ins moralische und soziale Gefüge eingreifende Kernelement der Sozialgesetzgebung Obamas. Nur wenige Stunden nach der Annahme des Reformpakets im Repräsentantenhaus im März wurde ihr Büro in Tucson (Arizona) verwüstet. Jetzt war sie zum Bürgergespräch in einem Supermarkt, wo absoluter Schutz unmöglich ist. Sarah Palin hatte auf ihrer Website den Wahlkreis von Frau Giffords im Fadenkreuz gezeigt. Was metaphorisch gemeint war, wurde blutige Realität.

Es ist, als sei Republikanern wie Demokraten schon vor dem Attentat unheimlich zumute geworden beim Blick auf die Leidenschaften, die im Wahlkampf aufeinandergeprallt waren, namentlich in der Brutal-Rhetorik der Tea-Party-Gruppen. So gelang es noch zu Lebzeiten des alten Senats, das von den rechten Republikanern verteufelte neue Start-Abkommen mit Russland über atomare Rüstungskontrolle gemeinsam zu verabschieden und auch bei der Einkommensteuer einen Kompromiss zu finden.

Auch der neue Kongress, so scheint es, trat vor wenigen Tagen schon mit einer Ahnung zusammen, dass die Nation der Heilung bedürfe und der Besinnung auf ihre Grundlagen. So kam es, dass beim ersten Zusammentreten Abgeordnete beiderseits des Ganges aus der Verfassung vorlasen, beginnend mit dem ikonischen Satz: „We the people of the United States of America …“ Die Anklänge an religiöse Riten kamen wie von selbst.

Nach dem Anschlag auf Gabrielle Giffords schauen die Amerikaner in einen Spiegel, der von Hass und Angst verzerrt ist. Das ist nicht Amerika. Sie müssen sich fragen, und sie nicht allein, wie das Land mit sich selbst zu versöhnen ist.

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