Worte zu Pflugscharen
09.01.2011
Niemand, der politisch aktiv ist, wird behaupten, dass Wörter völlig unschuldig sind. In der US-Politik geht es nach dem Anschlag auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords um die Frage, wie schuldig Wörter sein können.
Es geht darum, ob die verbale Radikalisierung der politischen Debatte einen Anteil an der Tat eines möglicherweise geistig verwirrten Einzelnen hat. Unabhängig von den Motiven des Attentäters ist die Debatte dringend notwendig. Die politische Radikalisierung in den USA hat ein Maß erreicht, das eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig ist.
Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords
Vor allem die Anhänger der Tea Party, einer Bewegung der extremen Rechten, haben die Kriegsrhetorik zum Normalfall erhoben. Im gerade zu Ende gegangenen Wahlkampf um Kongresssitze nahmen sie politische Gegner ins Fadenkreuz, forderten zweideutig dazu auf, (auf) sie zu feuern, nachzuladen, die Gegner zu eliminieren. Es spricht Bände, dass Tea-Party-Vertreter wie die frühere Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin die plumpe Metaphorik am Samstag eilends von ihren Websites entfernten.
Doch wäre es von der anderen Seite, den Demokraten, verfehlt, darauf nun mit ebenso plumpen Schuldzuweisungen zu reagieren. Das würde das politische Klima nur noch mehr vergiften und die Tea-Party-Anhänger noch weiter in ihre Ecke treiben.
Genau andersherum ist es richtig: Worte haben das Attentat nicht verursacht. Aber das Attentat ist ein Grund, die Worte zu überdenken. Im politischen Spiel der Kräfte wirken scharfe Formulierungen wie Schwerter. Sie können Verbindungen kappen, Gegner zum Schweigen bringen, sie spalten die Gesellschaft.
Wer propagiert, dass US-Präsident Barack Obama ein Muslim sei, der “Krieg gegen das eigene Volk führt”, wie es ein konservativer Radiokommentator tat, der macht jeden Dialog zwischen politischen Gegnern unmöglich. Das untergräbt auf Dauer die Grundlage der Demokratie. Nötig wäre daher eine radikale Abrüstung der Worte.
Und die Europäer sollten, statt den Kopf über die USA zu schütteln, ihre eigene verbale Aufrüstung überdenken. Rechte Populisten etwa sind dabei, den Islam zum neuen Feindbild zu stilisieren. Völlig unschuldig sind auch ihre Worte nie.
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