Barack Obama Did His Duty — Nothing More

<--

Barack Obama hat seine Pflicht getan – nicht mehr

Von Uwe Schmitt

26.01.2011

Obamas Rede an die Nation folgt einem pompösen Ritual. Dazu gehört die Feier der amerikanischen Großartigkeit und der Weckruf zu einem neuen Aufbruch.

Der Facebook-Generation den Sputnik-Schock nahezubringen dürfte so mühsam sein wie die seinerzeit kaum geringere Angst Amerikas vor dem Hüftschwung Elvis Presleys zu erklären. Es liegt auf der Hand, warum Barack Obama, geboren zwei Jahre nach Präsident Kennedys Aufruf, neue Grenzen zu erreichen und die Sowjets im Wettlauf zum Mond zu schlagen, dennoch die Sputnik-Analogie wählte: Amerika stagniert und fällt zurück gegenüber China, Indien und anderen erfolgshungrigen Parvenüs.

Der Präsident beschwor den versammelten Kongress und die Nation, den Rest der Welt (wieder) an Erfindungsgeist, Wettbewerbsfähigkeit, Ausbildungsqualität zu übertreffen. Infrastruktur, Grundlagenforschung, alles müsse wieder vom Besten sein. Obama ließ sein Publikum sich nicht nur vor Amerikas Soldaten erheben, sondern auch vor seinen Lehrern: „Werdet Lehrer, euer Land braucht euch.“

Wer könnte etwas einwenden gegen die große Ermutigung zur Erstklassigkeit? Eine Menge vernünftiger Amerikaner, Republikaner, Demokraten und Parteilose haben etwas gegen „Reden zur Lage der Nation“, die das Entscheidende schuldig bleiben: nämlich darzulegen, wie das abenteuerlich verschuldete, an einer beharrlichen Arbeitslosigkeit knapp unter zehn Prozent laborierende Amerika all die Zukunftsinvestitionen bezahlen will.

Als einzige konkrete Einsparungsmaßnahme bot der Präsident ein Einfrieren der frei verfügbaren zwölf Prozent des Staatshaushalts für fünf Jahre an. Gespart würde so nicht mehr als ein Taschengeld. An die Renten, die staatliche Gesundheitsversorgung der Rentner (Medicare), die Verteidigung soll nicht gerührt werden.

Die Republikaner, beflügelt von ihrer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus, verlangen massive Kürzungen bei allen staatlichen Programmen – ausgenommen die Verteidigung. Auch die Bevölkerung fordert den Abbau des gefährlichen, für die nachfolgenden Generationen ruinösen Haushaltsdefizits. Doch an die Renten und Medicare dürfe der Staat nicht rühren, sagen vier von fünf. Ein solches Paradoxon beschreibt das Bild: „You can’t eat your cake and have it, too“ – man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.

Barack Obama kennt diesen Hang seiner Wähler zu Unvereinbarem. Er findet seine Entsprechung darin, einerseits überzeugt davon zu sein, auf ewig die erwählte Nation zu sein, und zugleich Angst zu haben, dem Untergang geweiht zu sein wie andere Imperien vor Amerika.

Deshalb musste der hochfliegenden Rhetorik des Präsidenten die Balance gelingen zwischen schamlosem Eigenlob, wie es vom Publikum ersehnt wird, und selbstkritischem Weckruf zum neuen Aufbruch. Obama präsentierte sich als Mann der Mitte und des Ausgleichs, der seiner Partei und der Opposition Patriotismus, überparteiliche Anstrengung und Kompromissbereitschaft zum Wohl der Nation verordnet.

Das positive Echo auf die „Rede zur Lage der Nation“ gab ihm in ersten Umfragen unter den rund 50 Millionen Fernsehzuschauern recht. Die Bürger verlangen, dass die Politiker in Washington für sie arbeiten, statt sich in eitlen Kriegsspielchen zu spreizen. Wenn die seit Dezember stark steigenden Zustimmungswerte für Obama nicht trügen, glaubt eine Mehrheit der Amerikaner, dass sie in ihrem Präsidenten einen Mann hat, der für sie alle, nicht nur für seine Stammwähler, arbeiten will.

Als ausländischer Beobachter staunt man auch nach Jahren noch, wie hoheitlich-pompös die „State of the Union“-Thronreden in einer Nation inszeniert werden, die auf der Abscheu vor Feudalismus und der Flucht vor Fürsten gründet.

Eine kindlich anmutende Sehnsucht nach dem omnipotenten König (oder Diktator), der alles zum Guten richtet und Amerika mit Gottes Hilfe lenkt, steht sonderbar versöhnt neben der robusten Selbstkontrolle der „checks and balances“. Barack Obama versprach Dutzende Male, Jobs, Jobs, Jobs zu schaffen, als könne er per Dekret alle Bürger in Arbeit und Brot setzen.

Mit derselben Unbedingtheit verlangen die Republikaner von dem Präsidenten Jobs, Jobs, Jobs, allerdings ohne staatliche Konjunkturprogramme oder andere Subventionen, sondern allein durch Steuersenkungen, da einzig der Markt die heilende Kraft sein müsse.

Noch während Barack Obama sprach und gelegentlich braven Applaus der Opposition erntete, bekundete ein republikanischer Abgeordneter per Twitter die wahre Überzeugung seiner Partei: „Mr. Präsident, Sie glauben nicht an die Verfassung; Sie glauben an Sozialismus.“

Das Unausgesprochene in der Rede wog für manche schwerer als das Gesagte. Kein Wort fand Barack Obama zugunsten strengerer Waffengesetze oder zur wachsenden Armut in Amerika samt dem Wertverlust der Häuser und der Vertreibung enteigneter Familien. Er schwieg zu dem abermals erstarrten Friedensprozess im Nahen Osten, nichts fiel ihm ein zum Schandfleck Guantánamo Bay.

Die rituelle Werbe- und Rechenschaftsrede, mit Woodrow Wilson 1913 als alljährlicher Vortrag „State of the Union“ in Mode gekommen, kann naturgemäß nicht alle zufriedenstellen. Selten blieb von diesen SOTUs, wie die Reden zur Lage der Nation auch genannt werden, Erinnernswertes. Manche US-Kommentatoren verachten sie als lachhaften „Versuch, alle erogenen Zonen des Volkskörpers zu streicheln“ (George Will).

Andere erinnern indigniert daran, dass Thomas Jefferson 1801 den Vortrag seines Berichts als zu hoheitsvoll („too kingly“) ablehnte und eine Tradition von schriftlich an den Kongress geschickten Botschaften begründete, die über hundert Jahre lang galt. Zumal im Zeitalter des Internet und des 24-Stunden-Nachrichtenzyklus wirkt der Minnesang des Präsidenten an Amerika und die Amerikaner leicht komisch.

Das alles ist in aufgeklärten US-Medien nicht minder bekannt. Es mangelte nicht an satirischen Ideen, wie der erstmals überparteilich gemischt sitzende Kongress den großen Tag überstehen könnte. Man empfahl Raucher-Notgemeinschaften, neue Liebschaften und therapeutische Paarbildungen von Politikern, die einander nicht ausstehen können. Am Ende blieb die große Umarmung ebenso aus wie der kleine Skandal.

Die Demokraten erhoben sich zum Applaus, wie es das SOTU-Fitnessprogramm verlangt; Republikaner hatten einen weniger bewegten Abend. John Boehner, der neue Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus und neben Vizepräsident Joe Biden unablässig im Fernsehbild vom Rednerpult, wirkte direkt erschöpft von seinem zur Schau getragenen Gleichmut. Man hätte ihm eine Zigarette und ein Glas Rotwein gegönnt, schätzt Boehner doch beides. Mit dem Licht im Sitzungssaal erlosch das Pathos der Gemeinsamkeit im Kongress. Der Präsident hatte seine Pflicht getan.

About this publication