Die Versäumnisse der Regierung Obama
Von Martin Klingst
4.2.2011
Der US-Präsident hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Amerika hat Arabiens Despoten zu lange gestützt. Und er selbst wird seiner Kairoer Rede nicht gerecht. Ein Kommentar
Der Zufall will es, dass just in dem Augenblick, da Ägyptens Demonstranten Amerikas Gewissheiten und Strategien für den Mittleren Osten auf den Kopf stellen, sich in Washington fast sämtliche US-Botschafter zu einer Konferenz versammelt haben. Mehr als 300, aus allen wichtigen Hauptstädten der Welt. Nur die Botschafterin für Ägypten muss Stallwache halten und bleibt in Kairo.
Außenministerin Hillary Clinton hatte auch gleich die passende Botschaft für sie parat. Amerikas Außenpolitik müsse innovativer, kreativer – und vorausschauender werden. Was sie nicht sagte: Wohl auch ein wenig entschiedener und mutiger.
In den vielen Debattenrunden zu Ägypten gibt es derzeit reichlich Neunmalkluge, die der amerikanischen Regierung vorwerfen, hinter den Ereignissen herzuhinken, blind gewesen zu sein für den wachsenden Unmut der arabischen Bevölkerungen, für die soziale Kluft und die politische Unterdrückung. Aber fragt man sie, ob sie selber die Revolution vorausgesehen hätten, schütteln sie verlegen den Kopf.
Gleichwohl bleibt es bitter, dass ausgerechnet Barack Obama, der in seiner berühmten Rede an die islamische Welt in Kairo die Despotien und Diktaturen Arabiens mahnte, ihre Macht auf Zustimmung aufzubauen – und nicht auf Korruption und Gewaltherrschaft. Dass ausgerechnet dieser Präsident es versäumt hat, diese Einsicht immer wieder standhaft einzuklagen, privat und öffentlich.
Es ist ebenso bitter, dass seine Außenministerin, die ein Buch über die Bedeutung der Menschenrechte und Zivilgesellschaften schrieb; die in den neunziger Jahren auf einer Weltfrauenkonferenz in Peking mutig für die Unterdrückten Partei ergriff; und die als neue Außenministerin versprach, ihren diplomatischen Dienst gerade auf diese zivilen Aufgaben vorzubereiten, dass diese Hillary Clinton ihre Vorsätze nicht im Amt mit aller Entschiedenheit verfolgte.
Wie immer ordnete auch die Obama-Regierung Menschenrechte allzu schnell strategischen Interessen unter, setzte sich allenfalls hinter den Kulissen für Verfolgte ein – und hielt einstweilen an der Politik der Vorgängerregierung Bush fest, finanzielle Hilfe für Bürgerrechtsgruppen und Frauenvereine in Diktaturen einzufrieren oder gar einzustellen.
Es mag ungerecht sein: Aber Obama, der in Abkehr von der fatalen Politik George W. Bushs bewusst auf eine aggressive Demokratierhetorik verzichtet hat, dieser Friedensnobelpreisträger wird in der arabischen Welt nicht als unbeugsamer Freiheitskämpfer und Verteidiger des Volkswillen wahrgenommen. Seine Menschenrechtstöne waren zu leise und zu vorsichtig, um von den gebeutelten Menschen auf Arabiens Straßen gehört zu werden.
Amerika steckt in einem schweren Dilemma. Zum einen setzen die Demonstranten von Tunesien bis Jemen immer noch auf die einzig verbleibende Supermacht und hoffen, dass ihr Einfluss ebenso mäßigend wie verändernd auf die Despoten wirkt. Zum anderen verbitten sie sich von Washington die Parteinahme für irgendeine bestimmte Oppositionsbewegung oder irgendeinen bestimmten Oppositionspolitiker. Überall heißt es, sobald das Weiße Haus einen Namen nenne, werde damit ein sicheres Todesurteil über die Genannten gefällt. Fortan würde man sie nur noch als Handlanger Amerikas sehen.
Obama steckt in einer weiteren Klemme. Soll der Mittlere Osten nicht im Chaos versinken, in neuen Militärdiktaturen oder Gottesstaaten, sollen die Volksaufstände zu politischen Reformen, freien Wahlen und eines Tages zu freiheitlichen Demokratien führen, dann müssen der Präsident und seine Regierung ihren Einfluss jetzt geltend machen, sofort, bevor der Unmut der Menschen kein Halten mehr findet. Egal, welche anderen Prioritäten es noch gibt. Denn wie weiland schon Michail Gorbatschow sagte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Zudem ist es so, dass der von allen gewünschte geordnete Wandel nur gelingen kann, wenn die Vereinigten Staaten die mit ihnen verbündeten Autokraten und Militärs unverzüglich davon überzeugen, dass sie ihre Macht ab sofort teilen und über kurz oder lang abgeben müssen. Es mag schizophren erscheinen, aber Amerika muss die alten Regime, Königshäuser und Generäle für die demokratische Revolutionierung als Partner gewinnen. Die Regierung Obama weiß das und immerhin – sie tut auch was, indem sie mit der ägyptischen Führung den sofortigen Rückzug von Staatspräsident Mubarak und die Einleitung eines politischen Reformprozesses verhandelt.
Dennoch, es ist eine gewaltige Herausforderung in einem Augenblick, da Amerika auch in Arabien immer weiter an Macht einbüßt.
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