Israels Angst vor einer weiteren Front
Von Hans-Christian Rößler
09. Februar 2011
Mit großer Sorge und wachsendem Pessimismus verfolgen Politiker und Militärs in Israel die Entwicklungen in Ägypten, mit dem Israel 1979 Frieden schloss. Sie fürchten, Ägypten könnte zu einem „zweiten Iran“ werden, und Amerika sich – wie von Mubarak – abwenden.
Auch in Israel droht ein „Tag des Zorns“. Wie in den arabischen Nachbarländern steigen die Preise für Benzin und Lebensmittel unaufhörlich. Gewerkschaftsführer drohen schon mit einem Generalstreik. Spätestens hier enden jedoch die Gemeinsamkeiten mit den arabischen Nachbarn, die in Amman, Kairo und Tunis auch wegen dramatischer Preissteigerungen auf die Straße gehen. Trotz ihrer Kritik an zu hohen Steuern sind die meisten Israelis ähnlich beunruhigt wie ihr Ministerpräsident, wenn es um die Demonstrationen in Ägypten geht: Benjamin Netanjahu warnt vor einem „zweiten Iran“, sollten in Kairo die Islamisten die Macht übernehmen.
Mit großer Sorge und wachsendem Pessimismus verfolgen Politiker und Militärs die Entwicklungen in dem ersten arabischen Land, mit dem Israel 1979 Frieden schloss. Der ägyptischen Opposition trauen sie nicht über den Weg. „Die arabische Welt ist kein Ort für wirkliche Demokratie. Wenn es einen demokratischen Prozess gibt, wird er Diktaturen bringen und die Region in eine Hölle verwandeln. Damit Israel überleben kann, ziehe ich stabile Länder vor, die Terroristen bekämpfen“, sagt etwa mit entwaffnender Offenheit Amos Gilad, der Chef der politischen Abteilung des israelischen Verteidigungsministeriums.
Nicht nur er fürchtet, dass mehr Pluralismus und Mitbestimmung zum Aufstieg der Muslimbrüder beitragen werden. Als verlässliche Partner erwiesen sich für Israel dagegen autokratische Herrscher und nicht Demokraten. „Es ist traurig aber wahr. Israel unterzeichnete seine beiden einzigen Friedensverträge (mit Ägypten und Jordanien) mit Diktatoren: Anwar Sadat und König Hussein“, gestand der frühere Verteidigungsminister Mosche Arens in der Zeitung „Haaretz“ ein.
Bis 1979 war Teheran wichtigster Verbündeter Israels
Die große israelische Skepsis gegenüber Volksaufständen und Wahlen in der islamischen Welt geht auf zwei traumatische Erfahrungen zurück. Bis zur Revolution im Jahr 1979 war Teheran wichtigster Verbündeter des Landes in der Region. Dem Schah folgte dann das Mullah-Regime, das gegen Israel nuklear aufrüstet, Hizbullah, Hamas und vielleicht eines Tages auch die ägyptischen Muslimbrüder unterstützt. Gegen den starken Widerstand Israels hatten später die amerikanische Regierung und die EU durchgesetzt, dass die Hamas bei den palästinensischen Wahlen im Jahr 2006 antreten durfte: Die Islamisten gewannen damals die Mehrheit und eroberten in Gaza später gewaltsam die Macht, von wo aus sie Israel mit Raketen angreifen.
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„Ist das Demokratie, wenn man politische Gegner von den Dächern Gazas in den Tod stürzt, ihnen in die Knie schießt und Frauen hinrichtet? Nein, das ist das Ergebnis eines amerikanischen Missverständnisses, das Wahlen heiligt und die Risiken ihrer Resultate ignoriert“, kritisiert Dov Weissglas, Bürochef und Unterhändler des früheren Ministerpräsidenten Ariel Scharon.
Besondere Beunruhigung rief in Israel hervor, wie schnell die amerikanische Regierung ihren treuen Verbündeten Mubarak aufgab. Dieses ungläubige Staunen wich mittlerweile Befürchtungen, dass Präsident Obama eines Tages auch die engen Beziehungen Amerikas zu Israel überdenken könnte, sollte das Land im Nahen Osten zu einer Belastung werden. Aufmerksam hatte man in Israel in der vergangenen Woche in der Zeitung „New York Times“ den Artikel des Kolumnisten Thomas Friedman gelesen.
„Netanjahu läuft Gefahr, der Mubarak des Friedensprozesses zu werden“, warnte er und verwies auf die wachsende Ungeduld in Washington darüber, dass Israel nicht mit den Palästinensern verhandelt, obwohl es in Ramallah einen verantwortungsvollen Partner gebe. „Der Gedanke, dass Amerika in entscheidenden Tagen nicht auf unserer Seite steht, lässt einen erschauern. Gott stehe uns bei“, kommentierte deshalb die Zeitung „Jediot Ahronot“.
Der amerikanische Einfluss auf den Nahen Osten nehme weiter ab
Israelische Diplomaten und Militärs sehen die enge Zusammenarbeit mit Amerika jedoch nicht akut bedroht. Sie fürchten eher um den amerikanischen Einfluss auf die Region, der nach ihrer Ansicht durch die Politik von Präsident Obama und seiner Außenministerin Clinton in den vergangenen Wochen abnimmt. Selbst der israelische Generalstabschef Gabi Aschkenasi gibt in vorsichtigen Worten zu, dass es in der Region eine „andere Sicht auf die Einflussmöglichkeiten Amerikas“ gibt, wie er jetzt während der Jahreskonferenz des Interdisziplinären Zentrums in Herzlija sagte; die Zusammenkunft an der privaten Universität gilt als das wichtigste sicherheitspolitische Strategietreffen in Israel. Gleichzeitig werden nach Aschkenasis Worten die radikalen Kräfte in den Nachbarländern Israels stärker. „Israel muss sich auf einen Mehrfrontenkrieg vorbereiten“, sagt er voraus.
Seit dem Friedensvertrag mit Ägypten hatte sich die israelische Armee auf den Gazastreifen und den Norden konzentriert. An der ägyptischen Grenze herrschte bisher Ruhe. Der mutmaßliche Anschlag auf die auch nach Israel führende Gas-Pipeline am Wochenende wurde als ein erstes Warnsignal verstanden – ähnlich wie die Rückkehr eines Mitglieds des bewaffneten Arms der Hamas nach Gaza, dem die Flucht aus einem Gefängnis in Kairo gelungen war.
In Israel setzen jedoch nicht alle nur auf die militärische Karte. In Herzlija empfahlen führende Mitarbeiter des Planungsstabs der Armee und des Außenministeriums einmütig, bei den Friedensbemühungen mit den Palästinensern nicht nachzulassen. Sie sind besorgt darüber, dass die Fähigkeit Amerikas, den Nahen Osten zu stabilisieren abnimmt. Noch habe Israel aber in Ramallah einen moderaten palästinensischen Partner, mit dem es verhandeln könne. Dieser Ansicht neigen auch Oppositionsführerin Livni und Staatspräsident Peres zu. Die frühere Außenministerin empfiehlt zwar, die ägyptischen Muslimbrüder von den ersten Wahlen auszuschließen. Aber Israel könne es sich nicht leisten, einfach abzuwarten, bis sich der politische Sturm in Ägypten gelegt hat. Nötig sei es jetzt, alles zu tun, um den Konflikt mit den Palästinensern zu beenden. Präsident Peres sieht das ähnlich. Jetzt gelte es erst recht, den Nahen Osten so schnell wie möglich von der Last des alten Streits befreien.
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