What the Americans Knew About Bin Laden

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Was die Amerikaner über Bin Laden wussten

US-Depeschen zeigen, dass Osama Bin Laden den Geheimdiensten schon früh bekannt war. Detaillierte Berichte lieferte unter anderem ein Verwandter.

Der Banker aus Saudi-Arabien war schon öfter zu Gast in der US-Botschaft in Riad. Als er 1993 mal wieder mit den Diplomaten sprach, berichtete er hauptsächlich von seinem jüngeren Bruder, der sich den Mudschahedin in Afghanistan angeschlossen hatte. Der Geschäftsmann sorgte sich, dass sein Bruder nach seiner Rückkehr aus Afghanistan mit seiner Familie brechen und sich dem extremen Islamismus zuwenden würde.

Der Gründer des Terrornetzwerks al-Qaida

„Den Islamisten wird eine Machtübernahme in Saudi-Arabien kaum glücken“, meinte der Bankmanager. Die meisten saudischen Geschäftsleute würden die Ziele des Islamismus auch kaum stützen. Aber es gebe Ausnahmen. Zum Beispiel Osama Bin Laden, Spross einer saudischen Firmendynastie und Anhänger islamistischer Bewegungen. Der Geschäftsmann betonte aber nochmals, Bin Laden sei eine „Ausnahme im Vergleich zu den allgemeinen Haltungen der Manager in Saudi-Arabien“. Das Ergebnis des Gesprächs kabeln die Diplomaten am 23. Januar 1993 nach Washington.

Es ist das erste Mal, dass der spätere Terrorpate in den Depeschen des US-Außenministeriums vorkommt. In einer Zusammenarbeit mit der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ konnte die „Welt“ nach der Spuren Bin Ladens in den 251.000 Dokumenten suchen.

Bereits ein Jahr nach der Erwähnung Bin Ladens im Gespräch mit dem Banker, am 23.November 1994, warnt die amerikanische Botschaft in ihrem „Jährlichen Terrorismus-Report Saudi-Arabien“, dass Bin Laden verdächtigt wird, den Terrorismus im Jemen, im Sudan, in Afghanistan, Ägypten, im Libanon und in den Palästinensergebieten zu unterstützen.

Frankreich zweifelt

Bin Laden hatte zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre im Sudan gelebt, seine saudische Staatsbürgerschaft war ihm entzogen worden – wegen „seiner unverantwortlichen Aktivitäten, die sich nicht mit den Interessen des Königreichs vertragen und unseren Schwesternationen schaden“, wie das Königreich mitteilte.

Gleichzeitig vermuteten die Amerikaner, dass er Terroristen in Lagern im Sudan ausbildet. Frankreich dagegen zweifelte an diesen Erkenntnissen, steht in der Depesche. Die Pariser Geheimdienstleute meinten, Bin Laden

sei zu arm, um den Terrorismus unterstützen zu können. Für die Amerikaner aber bedeutete schon, Terroristen freie Hand zu lassen, eine Unterstützung des Terrors.

Erst 1996 tauchte Bin Laden in der westlichen Presse auf, als das Magazin „Time“ ihn im Sudan interviewte. Bei einem Treffen mit dem damaligen sudanesischen Außenminister Ali Osman Taha am 10.Mai 1996 beschwerten sich die Amerikaner, dieses Interview zugelassen zu haben. Taha meinte, der Kontakt zum Westen könnte dazu beitragen, dass Bin Laden die Dinge von einer anderen Seite sehe. Der Sudaner deutete an, dass er Bin Laden in Kontakt mit westlichen Diplomaten bringen könnte, um den Extremisten zu missionieren. Die Amerikaner kommentierten in ihrem Bericht, es sei wohl besser, wenn Bin Laden nach Saudi-Arabien ausgeliefert würde, als zu hoffen, dass er sich im Dialog ändert.

So drängten die USA den Sudan, Bin Laden aus dem Land zu werfen, und der Sudan gab nach. In Afghanistan angekommen, musste Bin Laden den Ältestenrat in Dschalalabad bitten, dort wohnen zu dürfen. Als der ihm dies verweigerte, zog Bin Laden nach Kabul weiter, um den damaligen Staatschef Gulbuddin Hekmatyar um Schutz zu bitten. Als die Taliban kurze Zeit später, am 27.September 1996, die Kontrolle über Kabul übernahmen, gab das amerikanische Außenministerium seinem Außenposten die Anweisung, die Taliban zu überzeugen, ausländische Terroristen aus dem Land zu werfen. Bin Laden wurde extra erwähnt.

Etwa zur gleichen Zeit, am 17. September 1996, erhielt die saudische Botschaft eine Beschreibung von Bin Laden von einem seiner nächsten Verwandten, der ihn von klein auf kannte. Bin Laden hat 45 Brüder und Schwestern, die sein Vater Mohammed mit mehreren Frauen gezeugt hat. Dazu kommt eine unübersehbare Anzahl von Cousinen und Cousins. Etwa die Hälfte seiner Geschwister studierte im Ausland oder lebt dort.

Die in Saudi-Arabien Gebliebenen sollen „eine etwas konservativere Weltsicht“ haben, sagte der Clan-Kontaktmann den Amerikanern. Zu ihnen gehört Osama. „Er ist ein einfacher Mann, der sich leicht von anderen Menschen beeinflussen lässt“, sagte der Mann. Dies mache ihn empfänglich für extremistische religiöse Ideen, die allerdings von „ausländischen Agenten“ in Saudi-Arabien verbreitet würden.

Eine “Gehirnwäsche” verpasst

Die Familie bemerkte, dass Osama Bin Laden etwa zehn Jahre zuvor, also Mitte der 80er-Jahre, „ungewöhnliche Ideen“ aufschnappte, während er noch im Unternehmen arbeitete. Bin Laden gab das Leben als Geschäftsmann damals auf, weil es unislamisch sei, mit Banken Geschäfte zu machen. Bei zahlreichen Besuchen in Afghanistan kam er in Kontakt mit ägyptischen Extremisten, die ihm dem Bericht seines Verwandten zufolge eine „Gehirnwäsche“ verpasst hätten. Während seiner Zeit im Sudan soll die dortige Regierung das schwarze Schaf der Familie unterstützt haben. Sie gab ihm Aufträge für Straßenbau- und Agrarprojekte. Der Verwandte behauptete, über Mittelsmänner habe sogar der Iran Bin Laden geholfen. Er soll aber offene Verbindungen zum schiitischen Regime in Teheran gemieden haben.

Es ist nicht die einzige Spur, die in den Iran führt. In einer weiteren Depesche von August 1998 berichtet das US-Konsulat Jerusalem, Bin Laden habe enge Kontakte zur islamistischen al-Aqsa Bank – und halte womöglich sogar Anteile an dem Institut. Die al-Aqsa Bank wiederum gehört zur Hälfte der Jordanischen Islamischen Bank, die wiederum der saudische Scheich Sadeh Kamil besitzt.

Kamil gilt als Geschäftsfreund der saudischen Bin Ladens. Mehrere Jahre später wird eine weitere Verbindung zum Iran sichtbar. Eine Quelle des Konsulats im saudischen Dschidda berichtet 2009, dass der Iran in den vergangenen zwei Jahren Saudis Unterschlupf gewährt habe, die Kontakte zu Terroristen hatten und gegen das Königreich in Riad arbeiteten. Darunter soll auch Osamas Sohn Ibrahim gewesen sein. Die Regierung in Riad protestierte und unterzeichnete schließlich eine Vereinbarung mit dem Regime in Teheran, nach der der Iran die bisher geübte Praxis beenden sollte.

Das bereits erwähnte Familienmitglied scheint auf lange Sicht die einzige Quelle aus Bin Ladens nächster Umgebung zu sein. Nun, da er wieder am Hindukusch lebe, sei er am Ende, meinte der Verwandte 1996. Osama Bin Laden teilte seiner Familie mit, er sei willens, nach Saudi-Arabien zurückzukehren. Dafür müsste der Clan ihm aber helfen, politische Gefangene aus dem Gefängnis zu holen. Die Bin Ladens verzichteten auf den Deal. „Damit ist er mit uns fertig“, meinte der Verwandte. Direkte Kontakte zur Familie gebe es nicht mehr. Früher habe er mit seiner syrischen Mutter während ihrer Aufenthalte in ihrem Heimatland kommuniziert. Zuletzt versuchte die Familie, über einen 90-jährigen Onkel in Medina mit Bin Laden zu sprechen – vergeblich. Der Kontaktmann der US-Botschaft versuchte in dem „bemerkenswert offenen Gespräch“ alles, um die Amerikaner davon zu überzeugen, dass die mächtige Bin-Laden-Familie nichts mit dem Terroristen zu tun habe.

Gleichzeitig liefen die Amerikaner bei den Taliban mit ihrem Auslieferungswunsch gegen die Wand. Die waren der Ansicht, „der saudische Prinz“ sei ein „guter heiliger Krieger“, der in Afghanistan bleiben sollte – unter der Voraussetzung, dass er nicht in Terrorangriffe gegen den Westen oder Saudi-Arabien involviert sei. Die Taliban ignorierten dabei, dass Bin Laden bereits Anschlagsdrohungen gegen amerikanische Soldaten in Saudi-Arabien ausgestoßen hatte.

Bereits 1998 zog Bin Laden dann endgültig die Aufmerksamkeit der Welt auf sich, als er bemerkte, dass alle Muslime alle Amerikaner überall in der Welt töten dürften, egal ob Zivilisten oder Soldaten. Wörtlich teilte er mit, dass „alle Muslime den Dschihad“ gegen US-Truppen erklären müssten. „Die Dschihad-Fatwa ist ausgerufen.“ US-Außenministerin Madeleine Albright wies ihre Botschafter sofort an, gegen Bin Ladens Fatwa zu protestieren. „Es gibt Anzeichen dafür, dass Bin Laden dabei ist, einen kurz bevorstehenden Anschlag gegen amerikanische oder saudische Einrichtungen im persischen Golf zu planen“, schrieb Albright am 30.Mai 1998 in der Depesche.

Held der Armen im Land

Gut zwei Monate später wurden gleichzeitig Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania verübt. Die USA antworteten mit Angriffen auf Terror-Camps in Afghanistan und eine verdächtige Milchpulverfabrik im Sudan, in der chemische Waffen hergestellt werden sollten, aber Bin Laden blieb unversehrt. Die Amerikaner wollten im Herbst den Druck auf die Taliban verstärken, um sie zur Auslieferung Bin Ladens zu zwingen. Dabei suchten sie auch die Unterstützung Pakistans, aber ihr Botschafter in Islamabad bekam nicht mal einen Termin bei Staatsminister Nawaz Sharif in dieser Sache.

Gleichzeitig berichtete der Botschafter, Bin Laden sei der Held der Armen im Land geworden. „90 Prozent der Leute haben eine sehr positive Meinung von Osama Bin Laden und den Taliban“, berichtete eine der amerikanischen Quellen in der bevölkerungsreichen Punjab-Provinz. Der Botschafter stellte resigniert fest, dass die Taliban den PR-Krieg gewonnen hätten. „Seit August sind sie uns mehrere Male zuvorgekommen“, kabelte der Diplomat im Januar 1999 nach Washington. Eine pakistanische Stiftung in Karatschi bezahle die Propaganda für Bin Laden und gegen die USA, unter anderem mit günstigen Bin-Laden-Plakaten.

Die Taliban behaupteten im Februar 1999, Bin Laden halte sich nicht in ihrem Gebiet auf, was die Amerikaner ihnen aber nicht abnahmen. Der UN-Sicherheitsrat beschloss eine Serie von Resolutionen, in denen die Taliban aufgefordert wurden, Bin Laden auszuliefern. Die Resolutionen zeigten keine Wirkung, aber im Frühjahr 2001 machte das Gerücht die Runde, die Taliban wollten Bin Laden von einem Gericht in Katar verurteilen lassen.

Ob es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelte oder die Islamisten sich tatsächlich des gefährlichen Gastes entledigen wollten, wird nicht klar. Die USA wollten ihn aber lieber in ihrem Land vor Gericht stellen, und Botschafterin Elizabeth McKune sprach in dieser Sache am 7. April beim Außenminister vor. Am selben Tag traf auch eine Delegation der Taliban in der Hauptstadt Doha ein, wohl, um einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, mutmaßten die USA. Der Außenminister versicherte McKune jedoch, ein solches Tribunal werde es gegen den Willen Amerikas in seinem Land auf keinen Fall geben.

Das nächste Mal taucht Osama Bin Laden am 12. September 2001 in den Depeschen auf. Es ist der Tag nach den Angriffen auf die USA – und die Geheimdienstleute sind sich sicher, dass der einstige Geschäftsmann hinter dem größten Terroranschlag der Geschichte steckt.

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