Premature Calls for Intervention

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Voreilige Interventionsrufe

Von Christoph Prantner

03. März 2011

Ein militärisches Eingreifen in Libyen ist realpolitisch noch nicht zu rechtfertigen

Sanktionen, Kontosperren, Embargos. Dazu ein Rauswurf aus dem Menschenrechtsrat der Uno und Ermittlungen beim Internationalen Strafgerichtshof wegen des dringenden Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit – beinahe alle diplomatischen Möglichkeiten gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi sind ausgeschöpft. Das Morden in Libyen nimmt dennoch kein Ende. Der Despot denkt nicht an einen Rückzug. Und seine Gegner sind vorerst nicht stark genug, den Bürgerkrieg für sich zu entscheiden. Statusmeldung nach gut zwei Wochen libyscher Rebellion: blutiger Stillstand.

Lässt sich aus dieser Lage eine militärische Intervention in Libyen rechtfertigen? Und wäre eine solche denn überhaupt machbar und sinnvoll?

Die Fragen lassen sich mit heißem Herzen oder mit kühlem Kopf beantworten. Idealisten machen sich ohne zu zögern für eine Intervention stark. Realpolitiker, die Entscheidungen nicht auf Basis des politischen Moralismus treffen können, sind zu einer differenzierteren Einschätzung der Sachlage genötigt: Für eine Intervention müssen politischer Wille, militärische Fähigkeiten, ein genau umrissenes Operationsziel und vor allem auch eine Exit-Strategie gegeben sein. In allen Punkten stoßen Eingriffspläne für Libyen auf Schwierigkeiten.

Politisch besteht keinerlei Einigkeit über eine Intervention. Die USA und einige ihrer Alliierten halten sich die Option offen. Russland, China, Indien, die Türkei und nicht zuletzt die arabischen Staaten sind dagegen. Unter diesen Umständen ist der dafür nötige Beschluss des UN-Sicherheitsrates wohl kaum zu bekommen, auch wenn der Argumentation die “Responsibility to Protect” -Resolution zugrunde läge, in der die Uno ein Vorgehen gegen Regierungen erlaubt, die Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung begehen.

Ein einseitiges Eingreifen der USA oder der Nato dagegen wäre militärisch machbar, aber politisch hochriskant. Weil das Durchsetzen einer Flugverbotszone etwa über dem Küstenstreifen zwischen Tripolis und Bengasi von den meisten Militärexperten als wenig effektiv gewertet wird, käme keine erfolgreiche Intervention ohne Bodentruppen aus. Setzen aber US- oder Nato-Soldaten auf libyschem Boden auf, wären Washington oder die Allianz spätestens dann Kriegspartei – mit aller Verantwortlichkeit etwa für die Menschen in besetzten Gebieten.

Ein solcher Einsatz ist in den USA – und Washington ist in jedem Fall der militärische Spielmacher – politisch nicht durchsetzbar. Die Amerikaner verzweifeln ohnehin schon an ihren Einsätzen in Afghanistan und im Irak. Eine abscheuliche Gräueltat von Gaddafis Schergen, der Einsatz von Chemiewaffen oder eine drohende Übernahme des Landes durch Islamisten (Hillary Clinton: “Ein riesiges Somalia könnte drohen” ) mögen die Lagebeurteilung der Amerikaner noch ändern, vorerst aber stehen die Zeichen auf Zurückhaltung. Auch weil nicht klar ist, wie schnell die USA wieder aus einer Besatzerrolle herauskommen würden.

Natürlich sind das alles sehr theoretische Erwägungen, während unschuldige Menschen in Libyen sterben. Aber sie müssen gemacht werden. Denn nicht alle sind in der gemütlichen Lage Österreichs, das niemals in die Verlegenheit geraten wird, auch nur einen einzigen Soldaten in den Kampfeinsatz nach Libyen zu schicken. Das sollten auch einige “kriegsgeile Kiebitze” (© Rudolf Burger) hierzulande bedenken. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2011)

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