Wie pleite ist der amerikanische Staat wirklich?
Die Schulden wachsen unaufhörlich. Jetzt kaufen bekannte Großanleger keine US-Staatsanleihen mehr. Sparern droht weltweit ein Debakel.
Man sollte nicht glauben, dass in den USA nirgends gespart wird. In Los Angeles sitzen in der Abschlussklasse der Highschool durchschnittlich 43 Kinder im Englisch- und Matheunterricht. Und in der Autostadt Detroit im Bundesstaat Michigan wird derzeit sogar diskutiert, die Klassenstärke in den öffentlichen Schulen auf 60 Schulkinder hochzusetzen. Doch solche Maßnahmen, seien sie auch noch so drastisch, sind letztlich nur vereinzelte Schritte. Sie können das Gesamtbild kaum beeinflussen, das Blatt nicht wenden. Der Schuldenturm Amerikas wächst und wächst – und nun fängt er erstmals an zu wanken.
Denn in der vergangenen Woche bekannte Bill Gross, der auch „König der Anleihen“ genannt wird, dass er aus dem von ihm verwalteten Total Return Fonds des Investors Pimco sämtliche US-Staatsanleihen herausgeworfen habe. Jim Rogers, legendärer Hedgefonds-Manager, hält es gleichzeitig sogar für absurd, in die Papiere zu investieren. Und auch Warren Buffet, ein weiterer Anlage-Guru, mag sich nicht mehr auf lang laufende US-Titel einlassen und schichtet in kürzer laufende um.
Kurz: Die Investment-Welt misstraut Amerika. Es gruselt die professionellen Geldverwalter, wenn sie auf die gigantischen Verbindlichkeiten des Staates schauen. In immer mehr Köpfen kommt die Erkenntnis an, dass dies langfristig nicht gut gehen kann. Inflation oder Zahlungsausfall – dies scheinen die einzig möglichen Auswege. Und beides hätte kaum auszumalende Auswirkungen für Sparer und Anleger, nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande.
So neu diese wachsende Furcht ist, so alt ist andererseits der Trend zu immer mehr Schulden jenseits des Atlantiks. Schon seit Beginn der neunziger Jahre ist der Kreditberg immer schneller gewachsen. Fast 14 Billionen Dollar schulden die USA heute der Welt – das sind 2000 Dollar pro Erdenbürger, ob jung oder alt, arm oder reich. Einen großen Teil der Schuldtitel jedoch halten Chinesen und Japaner.
Und genau die zweifeln nun auch. Den bislang eifrigsten Käufern von US-Anleihen wird zunehmend mulmig. Wären die Vereinigten Staaten Mitglied der Euro-Zone, wären sie längst pleite oder von einem Partner-Land gerettet worden, ist Yu Yongding überzeugt, ein früherer wichtiger Berater der Pekinger Zentralbank. „China sollte aufhören, weitere Positionen aufzubauen“, rät er daher.
Schuldenberg wird nicht abgebaut
Was die meisten dabei beunruhigt, ist nicht einmal die absolute Höhe des Schuldenbergs. Schlimmer wiegt: Es gibt keinerlei Hinweise, dass die USA gewillt sind, diese riesige Summe in näherer Zukunft zu reduzieren. „Im Gegensatz zu Europa gibt es noch keine konkreten Pläne zur Konsolidierung“, sagt Alexander Koch, Volkswirt bei der Unicredit. Der Staat hat die Ausgaben zuletzt sogar so drastisch erhöht, dass er den Amerikanern inzwischen mehr an Transferleistungen auszahlt als er über Steuern oder Abgaben einnimmt. Und dazu kommen dann noch all die übrigen Ausgaben, von Investitionen über Beamtengehälter bis zum aufgeblähten Militäretat.
Fragt sich, warum bei all diesem Misstrauen die Renditen für US-Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit gerade mal bei 3,4 Prozent liegen und nicht bei 12,8 Prozent wie im Falle Griechenlands. Die Antwort ist recht einfach: Rund 70 Prozent aller neu begebenen Anleihen hat die US-Notenbank Fed in den vergangenen Monaten aufgekauft, schätzt Bill Gross. Anfang November hatte sie verkündet, genau dies zu tun, und zwar bis zu einer Summe von 600 Milliarden Dollar. Die Notenbank stützt also die Nachfrage und hält so die Rendite niedrig.
So hoch sind die Renditen von Staatsanleihen ausgewählter Staaten…
Ende Juni läuft dieses Programm jedoch aus. Gross und andere rechnen damit, dass spätestens dann die Renditen drastisch steigen. Das ist auch der Grund, warum sie sich derzeit von den Papieren fernhalten – denn steigen die Renditen, dann sinken die Anleihenkurse. Geschieht dies, so können Gross & Co. in einigen Monaten die US-Schuldscheine zu Schnäppchenpreisen aufkaufen. Und indem sie nun öffentlich Stimmung gegen die US-Finanzen machen, versuchen sie die Kurse schon einmal ein Stück nach unten zu prügeln. Sie haben also eine Wette laufen.
Damit könnten sie jedoch am Ende falsch liegen. Denn die Notenbank (Fed) hat ein glasklares Ziel: Die Renditen müssen unten bleiben. Sonst geriete der wirtschaftliche Aufschwung in Gefahr. Sollten daher ab Sommer nicht vermehrt private Anleger die Staatsanleihen abnehmen, um die Renditen niedrig zu halten, so dürfte die Fed durchaus bereit sein, das Aufkaufprogramm einfach noch einmal auszudehnen und zu verlängern.
Manches spricht dafür, dass dies geschieht. Denn die US-Bürger haben schlicht keine Ersparnisse, die sie nun in Schuldtitel des Staates stecken könnten. Im Gegenteil. Die Amerikaner sind genau so pleite wie ihr Land. Nur noch rund 62 Prozent ihrer Konsumausgaben finanzieren sie über Löhne und Gehälter – vor 30 Jahren waren es noch 80 Prozent, in Deutschland sind es heute immerhin noch 71 Prozent. Der Rest wird über Transferleistungen des Staates, über Kapitalerträge oder aber über Kredite abgedeckt. All das ergibt einen perfekten Teufelskreis: Spart der Staat, so haben die Menschen weniger Geld und konsumieren weniger, die Wirtschaft bricht also ein. Sparen die Menschen mehr und finanzieren so die Staatsschulden, dann gilt dasselbe. Der einzige Ausweg wäre, dass niemand spart und das Geld einfach weiterhin gedruckt wird. Doch was kommt dann?
Die nächste Krise kommt
„Kurzfristig wird diese ‚Strategie‘ wohl Wachstum und Finanzmärkte stützen“, glaubt Alexander Koch. Mittel- und langfristig drohe aber schon die nächste Krise. „Die Hartnäckigkeit mit der die notwendigen Reformen beziehungsweise Verhaltensänderungen aufgeschoben werden, ist ebenso erstaunlich wie gefährlich.“ Wie dies am Ende ausgeht, ob eine neue Bankenkrise folgt, die USA irgendwann doch ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen oder aber die Schulden über Inflation weggezaubert werden, ist offen. Alle Varianten wären für Sparer, egal ob in Amerika oder hierzulande, jedoch ein Debakel.
Viele flüchten daher schon seit Längerem in Gold. Erst in der vergangenen Woche erreichte der Preis je Feinunze daher ein neues Allzeithoch bei 1443 Dollar. Andere setzen verstärkt auf Aktien, denn auch dabei handelt es sich um Sachwerte. Im Falle einer inflationären Entwicklung profitieren sie also ebenso. Und falls die USA die Kurve doch noch kriegen, gehören die Unternehmensbeteiligungen ebenfalls zu den Gewinnern.
Das unsicherste Investment dürften dagegen auf Jahre Staatsanleihen bleiben – und dies ist eine epochale Umwälzung, denn über Jahrzehnte galten sie als der sichere Hafen. Das sind sie nun nicht mehr, zumindest was Papiere der USA oder anderer überschuldeter Staaten angeht. Einige davon werden in den kommenden Tagen wieder im Mittelpunkt der Finanzmärkte stehen, wenn sich die EU-Staatschefs um den Euro-Rettungsschirm streiten. Und auch im US-Finanzministerium wird man dies aufmerksam verfolgen. Denn solange Griechenland, Irland und Co. im Fokus stehen, merkt wenigstens niemand, wie der amerikanische Schuldenberg immer weiter wächst.
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