Let Bradley Go Free

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Freiheit für Bradley

Von Jürgen Heiser

18.03.2011

Angebliche Datenweitergabe an Wikileaks: Einem Nachrichtenanalysten der US-Armee wird der Prozeß gemacht, weil er Kriegsverbrechen enthüllt haben soll

Bradley Manning, 22jähriger Nachrichtenanalyst der US-Armee, befindet sich seit zehn Monaten unter dem Vorwurf in Haft, der Enthüllungsplattform Wikileaks internes Videomaterial über einen Einsatz von zwei AH-64 Apache-Kampfhubschraubern im Irak zugespielt zu haben. Die Aufnahmen zeigen, wie am 12. Juli 2007 neun irakische Zivilisten und zwei Journalisten der Agentur Reuters in Bagdad unter gezieltem Beschuß aus den US-Hubschraubern sterben. Unterlegt sind die entsetzlichen Bilder mit hämischen Funkkommentaren der Besatzungen, für die der Krieg ein Computerspiel zu sein scheint. Nach den ersten tödlichen Feuerstößen aus den 30-mm-Bordkanonen zielen sie auf einen weiteren Iraker, der zufällig mit seinem Kleinbus in die Szene fährt, weil er seine beiden Kinder zur Schule bringen will. Er hält an, als er einen der schwerverletzten Journalisten auf dem Bürgersteig sieht, will ihm helfen und ihn ins Krankenhaus bringen. Erneute Feuerstöße töten beide. Die Kinder überleben nur knapp, weil Ethan McCord, Soldat der US-Bodentruppen, sich Befehlen widersetzt, sich »nicht um die verdammten Kinder zu kümmern, sondern seine Einheit zu sichern«. Er rettet die Kinder aus dem zerschossenen Kleinbus und übergibt sie Sanitätern.

Am 5.April 2010 veröffentlicht Wikileaks das auf Video dokumentierte Kriegsverbrechen unter dem Titel »Kollateraler Mord« im Internet (www.collateralmurder.com). Das von Wikileaks aufbereitete geheime Filmmaterial aus den Bordkameras der Helikopter wird über die internationalen Medien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vorübergehend gerät die US-Regierung in große Erklärungsnot und weist das Heimatschutzministerium an, das Leck im Apparat zu stopfen.

Am 26. Mai 2010 wird Bradley Manning auf dem irakischen US-Stützpunkt Hammer verhaftet und im US-Camp Arifjan in Kuwait unter Arrest gestellt. Konkrete Beweise werden nicht genannt. Klar ist nur, daß es um das Videomaterial geht, auch wenn eine Verbindung zwischen Manning und Wikileaks nicht belegt werden kann. Während er einsitzt, weil er angeblich ein Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, wird das menschenverachtende Verhalten der Kampfhubschrauberbesatzungen nicht geahndet. Gegenüber der Agentur Reuters erklären die zuständigen Militärbehörden, das Handeln der Soldaten habe »im Einklang mit dem Kriegsrecht und den Richtlinien für den militärischen Einsatz gestanden«. Es sei rechtens gewesen.

Nach und nach sickern Informationen über die Vorwürfe gegen Manning in die Öffentlichkeit. Demnach soll er sich am 21. Mai 2010 im Internet-Chat einem Hacker namens Adrian Lamo anvertraut haben. Der 29jährige Lamo, ein US-Amerikaner kolumbianischer Herkunft, war während seiner mehrjährigen Hacker-Karriere unter anderem in die Computersysteme der New York Times und der Microsoft Corporation eingedrungen. Das US-Magazin Wired nannte Lamo den »Homeless Hacker«, weil er ruhe- und obdachlos durch die USA zog. Sein Zustand sei als labil zu beschreiben, jahrelang habe er Psychopharmaka geschluckt. Ein klassischer Cyber-Junkie halt. Irgendwann kam ihm die Justiz auf die Spur, verhängte Geld- und Gefängnisstrafen. Glaubt man den nach Mannings Verhaftung veröffentlichten Informationen, muß Lamo in dieser Zeit die Seiten gewechselt haben. Er wurde zum V-Mann der Sicherheitsbehörden. Für seinen Vater lag der Grund für die Wandlung seines Sohnes auf der Hand. Wired gegenüber machte er das FBI dafür verantwortlich.

Vorausgesetzt, die Chat-Geschichte stimmt, dann ahnte Bradley Manning rein gar nichts von Lamos Sinneswandel und vertraute außerdem darauf, im Chat mit ihm anonym zu bleiben. Nur so wäre es nachvollziehbar, warum Manning Lamo von dem Videomaterial und Tausenden Dokumenten erzählt haben soll, die er angezapft hatte. »Ich bin mir sicher, daß du viel zu tun hast«, soll Lamo gesagt haben. Mannings Antwort: »Was würdest du denn tun, wenn du einen nie gekannten Zugang zu geheimen Netzwerken hättest, vierzehn Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche und das für acht und mehr Monate?«

Fünf Tage soll der Gedankenaustausch zwischen den beiden Chat-Partnern gelaufen sein, die sich nie persönlich getroffen haben. Vom dritten Tag an sollen die von Lamo eingeschalteten Sicherheitsbehörden mitgelesen haben. Dann schlug die US-Militärpolizei zu und zog Manning aus dem Verkehr. Jedoch bleibt die Frage, ob es sich beim angeblichen Chat nicht um geheimdienstliches Spielmaterial für die Medien handelt, um nicht die wahren Hintergründe von Mannings Verhaftung offenlegen zu müssen. Nur in einem ordentlichen Gerichtsverfahren könnte darüber Klarheit hergestellt werden.

Schon am 6. Juli 2010 gibt der Militärankläger bekannt, gegen Manning werde wegen »Geheimnisverrats« und »Gefährdung der nationalen Sicherheit« ermittelt. Das zu erwartende Strafmaß könne bis zu 52 Jahren Haft betragen. Außer dem Videomaterial sollte Manning nun auch für die unerlaubte Weiterleitung Tausender US-Geheimdokumente aus den Kriegen in Afghanistan und Irak und von diplomatischen Dienststellen an Wikileaks verantwortlich sein.

Nachdem Mannings Verhaftung bekanntgeworden und er von Kuwait in das Militärgefängnis der Marinebasis Quantico verlegt worden war, erklärte Wikileaks zur Entlastung Mannings, man habe »sowohl das Video als auch damit zusammenhängende Dokumente von einer Reihe von Whistleblowern aus dem Militär erhalten«. Manning werde als Einzelner für etwas verfolgt, hinter dem ein ganzes Netzwerk stehe. Wikileaks habe nie Kontakt zu Manning gehabt, werde ihn aber gegen die Justiz solidarisch unterstützen. Manning selbst berief sich von Anfang an auf sein Schweigerecht als Beschuldigter und lehnte jede Kooperation mit der Anklage ab.

Die Solidaritätsplattform FreeBradley.org warnt davor, Manning Schaden zuzufügen, indem er als das »Leck im Apparat« gefeiert und zum Helden erklärt wird. Dazu wird ein Anwalt aus San Francisco zitiert: »In politischen Verfahren werten die Behörden Spekulation und Andeutungen gern als Tatsache. Der Staat braucht dringend einen Prügelknaben, um von seinen eigenen Missetaten abzulenken. Die Ankläger wären froh, wenn sie entsprechende Äußerungen von selbsternannten Unterstützern Mannings im Verfahren gegen ihn ausnutzen könnten.«

Für eine solidarische Unterstützung Bradley Mannings muß es reichen, daß er ungeachtet seines tatsächlichen Handelns stellvertretend für alle als Sündenbock herhalten soll, die es begrüßen, wenn als geheim eingestufte Dokumente über die US- und NATO-Kriegspolitik und begangene Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit gebracht werden.

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