Krieg in Libyen:
Wie gehen die Alliierten vor?
Von A. Meier, M. Thibaut
20.03.2011
Führen wollen die Amerikaner nicht. Anders als die Franzosen. Die Realität ist anders.
Das Staatsfernsehen zeigte die goldene Faust, die ein US-Kampfflugzeug zerdrückt, das Wahrzeichen von Muammar al Gaddafis Palast in Tripolis. Und mit sich überschlagender Stimme drohte der Despot der westlichen „Kreuzfahrer-Allianz“ einen „langen, ausgedehnten Krieg“ an. „Das gesamte Volk steht unter Waffen, unser Sieg ist gewiss“, rief der Gewaltherrscher am Sonntag in einer Audiobotschaft. „Wir haben keine Angst. Wir werden uns nicht vom Schlachtfeld zurückziehen, denn wir verteidigen unsere Erde und unsere Würde.“ Die Regierungen in Paris, London und Washington aber würden fallen „wie Hitler und Mussolini“.
Wie ist die Situation in Libyen nach den ersten Angriffen?
Schon während der ersten Stunden alliierter Luftangriffe auf Libyen hatte das Regime seine Getreuen zusammengetrommelt – als menschliche Schutzschilde für Gaddafis Militärbasis Bab al Azizia und für den zivilen Flughafen von Tripolis.
Von einem Geländewagen herunter rief Tochter Aischa Lobeshymnen auf ihren Vater in die Menge. „Gott, Libyen, Gaddafi, das ist alles“, schrie sie. „Das Volk will den Führer, Muammar.“ Sohn Saif al Islam beschimpfte im Fernsehen die Aufständischen als „Gangster“ und „Terroristen“. Am Nachmittag gab das Staatsfernsehen bekannt, an eine Million Libyer würden jetzt Gewehre und Pistolen ausgegeben. Im Hafen nahmen Bewaffnete die Besatzung eines italienischen Schiffes als Geiseln. Derweil griffen Panzer Gaddafis am Sonntag erneut die 200 Kilometer entfernte Stadt Misrata an. Bewohner berichteten dem Sender Al Dschasira, die Stadt würde in Grund und Boden geschossen. Wasser und Strom sind seit Tagen abgestellt, auf Dächern postierte Scharfschützen des Regimes zielen auf alles, was sich bewegt.
Auch Bengasi, die Hochburg der Rebellen, hatten die Truppen Gaddafis am Samstag noch unter Kontrolle zu bekommen versucht, bevor die internationale Militäraktion begann. Stundenlang erschütterten Bombeneinschläge, Artilleriesalven und Schusswechsel die westlichen Bezirke der Stadt. Nach Augenzeugenberichten drangen Panzer in zahlreiche Wohngebiete vor, konnten aber nach erbitterten Straßenkämpfen wieder vor die Tore der Stadt zurückgedrängt werden. Am Sonntag erlebten die Rebellen als Folge der alliierten Luftschläge erstmals seit längerem einen relativ ruhigen Tag. Sie rüsteten sich zum Marsch auf die letzte Woche aufgegebene Stadt Ajdabija. Fernsehbilder zeigten entlang der Küstenstraße zahlreiche ausgebrannte Militärwracks von Gaddafi-Eliteeinheiten, die von französischen Kampfjets zerstört worden waren. Augenzeugen zählten insgesamt 14 Panzer, 20 gepanzerte Truppentransporter, zwei Lastwagen mit Raketenwerfern sowie zahllose Pritschenwagen, aus denen auch Stunden nach dem Beschuss noch Flammen züngelten und Rauch aufstieg. Mindestens 14 Uniformierte kamen bei den Luftangriffen ums Leben, darunter auch afrikanische Söldner. An einer anderen Stelle wurden die Soldaten offenbar von dem Angriff überrascht. Zu beiden Seiten der Straße lagen Bettzeug, Kleidung und persönliche Gegenstände von Hunderten Männern verstreut, darunter Stiefel, Panzerwesten, Zigaretten und Kassettenspieler.
Die Amerikaner sprechen von ersten Erfolgen. Dabei wollten sie zunächst gar keine Flugverbotszone. Dann doch. Warum?
Von Brasilia aus gab der amerikanische Präsident Barack Obama seinen Streitkräften den Einsatzbefehl für Libyen. Er verkündete es am Rande seines Treffens mit Brasiliens neuer Präsidentin Dilma Rousseff. Trotzdem wurde Obama auch als er sein „Go“ erteilte, nicht müde zu betonen, dass die USA „nicht die Führungsrolle“ in diesem Einsatz hätten, sondern nur eine support role, eine unterstützende Funktion für die arabischen und europäischen Verbündeten. Das waren sehr ungewohnte Worte für seine Landsleute, die es gewohnt sind, in Kategorien des American leadership zu denken. Der erste Eindruck der Militäroperation ist aber ein anderer, denn die meisten Marschflugkörper wurden von US-Schiffen abgefeuert. Die Kommandozentrale des Einsatzes ist an Bord der „USS Mount Whitney“ und die kreuzt im Mittelmeer. Und die Sprachregelung im Generalstab lautete: „Wir übernehmen die Führungsflanke.“ So drückte es zumindest Vizeadmiral Bill Gortney im Pentagon aus. Während beinahe zeitgleich Außenministerin Hillary Clinton in Paris betonte, „wir führen die Operation nicht an“.
Wie soll man daraus schlau werden? Hat Obama die USA in einen Krieg geführt, ohne es zugeben zu wollen, oder hat man ihn gedrängt? Zeigt sich dieser Tage einmal mehr, warum so viele US-Bürger ihn als fremd und unamerikanisch empfinden?
Obama legt es auch diesmal nicht darauf an, seine Außenpolitik von Widersprüchen freizuräumen. Die Argumente für ein Eingreifen sind ähnlich gut und überzeugend wie die Gründe, die dagegen sprechen. Er teilt viele Bedenken, die Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem Engagement in Libyen abhalten. Deshalb hat er zwei Wochen lang gezögert. Und deshalb wirkte es wie ein unerwarteter Schwenk, als die USA ihren ganzen Einfluss am Mittwoch in den Vereinten Nationen aufboten, um eine Resolution zu verabschieden, die militärische Aktionen gegen Libyen erlaubt.
Es waren nicht Militärs und konservative Falken, die Obama dazu bewogen. Es waren drei Frauen, Interventionisten aus dem linken Lager: Samantha Power, früher Harvard-Professorin und nun Menschenrechtsbeauftragte im Nationalen Sicherheitsrat, UN-Botschafterin Susan Rice und Gayle Smith, eine wichtige Stimme im Center for American Progress. Für alle drei war es ein Schlüsselerlebnis, dass die USA beim Völkermord in Ruanda 1994 nicht eingriffen. Ex-Präsident Bill Clinton nennt es im Rückblick einen seiner schwersten Fehler. Und auch Hillary Clinton schien daraus nun die Lehren für Libyen zu ziehen, als sie Anfang vergangener Woche ins Lager der Interventionisten wechselte. Aber erst, nachdem sie in Paris mit Vertretern der libyschen Opposition gesprochen hatte.
Zwischen dem 9. und 16. März wurde in täglichen Krisensitzungen im Weißen Haus gestritten, mitunter leidenschaftlich, in seltenen Ausnahmen mit erhobener Stimme. Obama mag es nicht, wenn die Temperamente mit seinen Beratern durchgehen. Trotz großer Sympathien für Freiheitsbewegungen scheut er das Risiko. Und mit Verteidigungsminister Robert Gates hatte er einen mächtigen Skeptiker an seiner Seite. Es sei viel zu riskant für die Stimmung in der arabischen Welt, wenn es so aussähe, dass die USA ein bestimmtes politisches Ergebnis mit Gewalt erzwingen wollten, lautete die Mahnung. Das Militär könne nicht auch noch einen dritten Krieg führen und schon gar nicht Bodentruppen für ein weiteres nation building stellen, wenn nach Gaddafis Sturz ein Machtvakuum entstehe und ausländische Streitkräfte die Sicherheit und später freie Wahlen garantieren müssten. Man musste nur den Namen Jimmy Carters erwähnen, um das Risiko für Obama selbst auszumalen. Carter war 1980 auf dem Weg zu einer zweiten Amtszeit über ein ähnlich gewagtes militärisches Abenteuer gestolpert, den misslungenen Einsatz zur Befreiung amerikanischer Geiseln im Iran.
Zwei Faktoren gaben für Obama am Ende den Ausschlag. Erstens die Dynamik am Boden. Gaddafis Söldner schlugen die Aufständischen mit erschreckender Geschwindigkeit zurück. Zweitens bekam Obama, was er als unabdingbar angesehen hatte, nämlich eine führende Rolle arabischer Staaten in der Front gegen Gaddafi. Die Arabische Liga forderte die Flugverbotszone. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien versprachen ebenfalls, Flugzeuge zu schicken. Und nach Darstellung amerikanischer Medien liefert Ägypten schon jetzt Waffen an die Aufständischen.
Ist ein Einsatz am Boden denkbar?
Das UN-Mandat sieht das unmittelbar nicht vor. Aber zumindest unter den beiden europäischen Führungsmächten in dieser Mission scheint es darüber unterschiedliche Auffassungen zu geben. Eine Landung französischer Soldaten an der Küste Libyens sei nicht geplant, beteuerte Frankreichs Außenminister Alain Juppé am Samstagabend. „Es wird keinen Einsatz am Boden geben“, sagte er. In Großbritannien sieht man die Lage etwas differenzierter. Militärplaner rechnen nicht mit einer schnellen Lösung. Die Rede ist von Lufteinsätzen „in den nächsten Wochen“. Regierungsmitglieder schlossen entsprechend auch den Einsatz von Bodentruppen nicht aus. Die UN-Resolution schließe nur den Einsatz einer „Besatzungstruppe, nicht jede Aktion aus“, sagte Außenminister William Hague.
Wie fallen die Reaktionen in Frankreich und Großbritannien auf den Einsatz aus?
Die Franzosen verfolgen die Militäraktion „Odyssey Dawn“, bei der ihr Land eine entscheidende Rolle spielt, ohne Triumphalismus. Aber dennoch stehen sie weitgehend hinter Präsident Nicolas Sarkozy, der als eigentlicher Urheber der Mission gilt. Typisch für diese Haltung war am Sonntag die Äußerung von Benoît Hamon, Sprecher der oppositionellen Sozialisten. „Wir befinden uns auf gewisse Weise im Krieg“, sagte Hamon, also gebe es keinen Anlass zur Begeisterung. Dennoch sehen auch die Sozialisten den Einsatz französischer Jagdbomber und des Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ als zwingend an, um den Vormarsch der Gaddafi-Truppen zu stoppen. Er hoffe, dass die Mission die Aufständischen in die Lage versetze, Gaddafi von der Macht zu vertreiben, sagte Hamon.
In Großbritannien gilt der Militäreinsatz als großer politischer Erfolg von Premier David Cameron. Dafür bekommt er nicht nur Unterstützung von seinem Koalitionspartner, den Liberaldemokraten, sondern auch von der Opposition. Es gehe darum, die Werte der internationalen Gemeinschaft durchzusetzen, sagte Labour-Chef Ed Miliband. Am Montag dürfte das Unterhaus den Einsatz mit klarer Mehrheit billigen.
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