Der amerikanische Patient
Michael Maisch
18. April 2011
Stürmischer hätte die Woche an den Märkten kaum beginnen können. Alle Augen richteten sich auf die immer dramatischere Schuldenkrise in der Eurozone und die immer größer werdende Gefahr, dass Griechenland um eine Umschuldung nicht herumkommt. Bis dann plötzlich die Ratingagentur Standard & Poor’s die Investoren daran erinnerte, dass der Weltwirtschaft eine noch ernstere Gefahr droht. Die Bonitätshüter haben heute zwar das erstklassige Rating der USA mit der Bestnote „AAA“ bestätigt, gleichzeitig ihren Ausblick aber auf negativ gesenkt. An den Märkten sorgte dieser Weckruf für einen hässlichen Schock.
Die Kreditwächter begründeten ihre Drohung, die Kreditwürdigkeit der global dominierenden Wirtschaftsmacht herabzustufen mit der Gefahr, dass sich die Politiker in Washington nicht auf einen Kurs zur Reduzierung der ausufernden Staatsschulden einigen können. Es mag eine unbequeme Wahrheit sein, aber die Experten der Ratingagentur haben recht. Seit Wochen tobt in den USA eine erbitterte Schlacht um den Staatshaushalt zwischen den Demokraten von Präsident Barack Obama und den Republikanern. Die Opposition will tiefe Einschnitte vor allem im Sozialwesen durchsetzen, um die Zunahme der Staatsverschuldung zu bremsen. In den kommenden zehn Jahren soll das Defizit so um 5,8 Billionen Dollar sinken. Obama wehr sich allerdings gegen die Sparpläne der Konservativen und beharrt auf seinem Plan, der Kürzungen von „nur“ vier Billionen Dollar vorsieht. Allein im laufenden Haushaltsjahr häufen die USA bis zu 1,65 Billionen Dollar neue Schulden an, rund 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Gesamtverschuldung beträgt derzeit mehr als 14 Billionen Dollar. Das ist an der Wirtschaftsleistung gemessen das dickste Minus in der Staatskasse seit fünf Jahrzehnten.
Bislang haben die USA bei der Bewältigung der Finanzkrise einen völlig anderen Weg eingeschlagen als die Europäer. Viele Staaten auf dem alten Kontinent haben akzeptiert, dass nach den Exzessen des Booms, dem die Finanzkrise ein schmerzhaftes Ende bereitete, eine Periode der Austerität folgen muss. Dagegen hat sich die US-Regierung entschieden, die Gelddruckmaschine anzuwerfen, um damit das Wachstum anzukurbeln. Präsident Barack Obama hofft, dass es ihm so gelingt, die lahmende Konjunktur zu beleben. Ginge die Rechnung auf, würden geringere Arbeitslosigkeit und stärkeres Wachstum zu höheren Steuereinnahmen führen, die es dem Staat erlaubten, die Verschuldung zurück zu fahren.
Beide Strategien haben ihre Risiken, schließlich laufen die Europäer Gefahr mit ihrer Sparwut die konjunkturelle Erholung abzuwürgen. Aber trotz dieser Bedenken wird es für die Amerikaner jetzt Zeit, etwas von der europäischen Medizin zu akzeptieren. Denn das geldpolitische Doping gibt der US-Wirtschaft zwar einen kurzfristigen Leistungsschub, doch letztlich wird dadurch der Sparzwang nur in die Zukunft verschoben. Die US-Politiker müssen diese Tatsache anerkennen und einen glaubhaften Plan vorlegen, wie sie ihre hausgemachte Schuldenkrise in den Griff bekommen wollen. Ansonsten droht die größte Wirtschaftsmacht der Welt das Vertrauen der Investoren zu verlieren. Das würde nicht nur zu einer neuen Krise an den Märkten (und für die Banken) führen, sondern auch zu höheren Finanzierungskosten für alle Bereiche der US-Wirtschaft von den Verbrauchern bis zu den Konzernen, mit potenziell fatalen Folgen für Wachstum und Beschäftigung.
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