The Curse of Terror

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Im Bann des Terrors

Von Dietmar Ostermann

5 | 5 | 2011

Der Präsident an Ground Zero – für die USA schließt sich ein Kreis. Leider auch ein fataler: Obamas Kommandoaktion in Pakistan könnte aus dem Lehrbuch des George W. Bush stammen.

Es war mehr als eine symbolische Geste, dass der Präsident der USA nach dem gewaltsamen Tod von Osama bin Laden gestern an den Ort des Terroranschlags zurückgekehrt ist. Barack Obama hat an New Yorks Ground Zero öffentlich der 3389 Opfer des 11. September 2001 gedacht und sich privat mit Hinterbliebenen getroffen. Das tut man wohl, wenn man eine offene Rechnung begleicht, den Staatsfeind Nummer eins zur Strecke bringt und die politische Dividende dafür einstreichen will. Für Amerika aber schloss sich mit Obamas Besuch an Ground Zero eben auch ein Kreis.

Vor knapp einem Jahrzehnt stand dort George W. Bush mit dem Megafon im Schutt der schwelenden Ruinen des World Trade Centers und schwor den Urhebern Rache. Die Chiffre 9/11 markierte fortan eine Zäsur der Weltgeschichte. Mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ und einer militärischen Vorwärtsstrategie machte sich die Bush-Regierung daran, die neuartige Bedrohung auszumerzen. Die reflexhafte Reaktion des Texaners im Weißen Haus folgte einer alten Logik, Gewalt gegen Gewalt.

Ende der langen Jagd

Doch es blieben zwei ungleiche Gegner, die da aufeinanderprallten: die plötzlich verwundbare Supermacht und die schattenhafte Terrortruppe Al-Kaida. Der asymmetrische Konflikt hatte auf beiden Seiten immer etwas Maßloses. Ein kleines Netzwerk ruchloser Terroristen forderte die größte Militärmacht der Welt heraus. 19 Flugzeugentführer und ein perfider Plan waren genug, um Amerika ins Mark zu treffen. Die USA gaben in der Folge Hunderte Milliarden für die Terrorabwehr aus, führten zwei Kriege, ließen sich zu Folter und Völkerrechtsverstößen hinreißen. Aus der Welt schießen konnten sie die terroristische Bedrohung nicht. Symbolfigur für das Scheitern dieser Strategie blieb Bin Laden: Wer hätte nach dem 11. September 2001 gedacht, dass es fast ein Jahrzehnt dauern würde, bis Amerikas Geheimdienste ihn in seinem Versteck aufspüren?

Das Ende der langen Jagd auf Bin Laden hätte nun einen Schlussstrich und einen Neuanfang bedeuten können. Im Grunde war die düstere 9/11-Ära ja längst vorbei, bevor die Kugeln der Navy Seals den Terrorfürsten in Abbottabad niederstreckten. Die Geschichte ist über jene Gotteskrieger hinweggegangen, die von einer Zukunft der muslimischen Welt als mittelalterlichem Kalifat träumen. Der arabische Frühling in Tunis und Kairo hat den Menschen der Region gezeigt, dass sie nicht nur die Wahl haben zwischen korrupten Despoten und islamistischen Hasspredigern.

Was für ein Neuanfang ist das?

Auch die USA hatten spätestens mit der Wahl Barack Obamas 2008 begonnen, die unsinnige Ausrichtung fast ihrer gesamten Außen- und Sicherheitspolitik auf eine reale, aber eben nicht existenzielle Terrorbedrohung zu korrigieren. Mit dem Rückzug aus dem Irak hatte der neue Präsident die logische Konsequenz aus Bushs tragischstem Fehler gezogen. Das Folterverbot und Obamas damals verkündete Absicht, das Gefangenenlager Guantánamo Bay zu schließen, sollten Amerikas moralische Autorität wiederherstellen. Obama schien erkannt zu haben, dass die Dekade nach 9/11 für die USA ein verlorenes Jahrzehnt war. Er wollte das Land im Inneren modernisieren und außenpolitisch eine Antwort finden auf den Aufstieg Asiens.

Doch auch Obama konnte sich nur schwer aus den Fallstricken des alten Denkens lösen. Die Schließung Guantánamos haben Hardliner blockiert. Nach Afghanistan entsandte der Präsident 30.000 zusätzliche Soldaten – mit der Begründung, Al-Kaida dürfe dort nie wieder einen sicheren Rückzugsraum finden. Dabei saßen die Terrorplaner längst jenseits der Grenze in Pakistan, gab es Ableger in aller Welt. Ein Rückzug aus Afghanistan aber war politisch undenkbar, solange der Name Bin Laden auf der FBI-Fahndungsliste stand.

Das ist nun anders. Theoretisch haben sich die USA mit der Kommandoaktion von Abbottabad aus dem Bann von 9/11 befreit, gäbe es in Washington jetzt Spielraum für eine neue Außenpolitik. Amerika könnte seine Prioritäten sortieren, alte Irrwege verlassen. Aber was für ein Neuanfang ist das? Ein Neuanfang, der, dieser Verdacht jedenfalls verfestigt sich, auf einem Verbrechen gründet. Die Leiche Osama bin Ladens ist im Arabischen Meer versenkt, Fotos soll die Welt nicht sehen – und immer neue Details wecken immer neue Zweifel an der Darstellung, der Al-Kaida-Chef habe den US-Soldaten Widerstand geleistet. Auch hier schließt sich ein Kreis. Obamas Kommandoaktion könnte aus dem Lehrbuch des George W. Bush stammen.

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