Anger at Evidence of American Power

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Die Wut über den Beweis amerikanischer Macht

Zahllose deutsche Terror- und Nahostexperten – und wer hält sich hierzulande mittlerweile nicht dafür? – haben sich jahrelang alle Mühe gegeben zu erklären, dass Osama Bin Laden in der al-Qaida allenfalls noch die Rolle eines ideologischen Mentors, keinesfalls aber noch eine führende operative Rolle spiele. Dementsprechend brach jetzt, da die USA den Anstifter und Prediger grenzenloser Massenvernichtung zur Freude und Erleichterung aller freiheitsliebenden Menschen endlich zur Strecke gebracht haben, ein heftiges Lamento aus: Diese Aktion habe doch eigentlich eine mittlerweile nur noch nebensächliche “Symbolfigur” getroffen und sei somit eigentlich ganz überflüssig, ja eher schädlich gewesen, schaffe sie doch nur neue “Märtyrer” und noch mehr Terrorismus. Letztlich diene sie allenfalls den Rachebedürfnissen der im Vergleich zur überlegenen, rechtsstaatlich und moralisch auserwählten europäischen Kultur in Rückständigkeit verharrenden Amerikaner. So ähnlich jedenfalls sehen es erstrangige Weltstrategen und Geistesgrößen der Nation wie die fast vergessene Ex-Ministerin Herta Däubler-Gmelin, der War-irgendwann-mal-Korrespondent Ulrich Kienzle und der Dünndruck-Moralphilosoph Richard David Precht, die am Sonntagabend bei Anne Will den USA darüber die Leviten lesen durften, wie sie Bin Laden ordungsngsgemäß zu verhaften gehabt und überhaupt den Kampf gegen den Terrorismus mit einwandfreien “polizeilichen Mitteln” zu führen hätten.

Al-Qaida, hieß es aus Fachkreisen stets, sei längst keine zentral gesteuerte Organisation mehr, sondern ein Flickenteppich aus eigenständig handelnden Grüppchen und Individuen, die mal hier, mal da, ganz nach eigener Lust und Laune zur Bombe griffen – also gleichsam eine Art freizeitterroristische Sponti-Bewegung, die durch so plumpe und unkreative Mittel wie einen mit großem militärischen Aufwand geführten “Krieg gegen den Terror” natürlich niemals zu fassen und zu besiegen sei.

Diese Hirngespinste passten wunderschön zu der seit den 80er-Jahren grassierenden postmodernen, mit begrifflichen Versatzstücken aus dem “poststrukturalistischen” Kategorientollhaus angefüllten Vorstellung, wir hätten es bei allen politisch-gesellschaftlichen Phänomenen mit dem Selbstlauf frei flottierender, “nomadischer” und sich permanent selbst erzeugender, “dezentrierter Strukturen” zu tun, nie aber mit eindeutig erkennbaren Ursache-Wirkungsvehältnissen, die von handelnden Subjekten ausgelöst werden. Dieser Mystifikation der wirklichen Verhältnisse eignete sich bestens zur pseudotheoretischen Unterfütterung jener weltentrückten Hypermoral, die in Deutschland mittlerweile zu einer Art Staatsreligion avanciert ist. Ihr zu Folge kann niemandem eine eindeutige, gar alleinige persönliche Schuld an irgendetwas zugewiesen werden, weshalb auch niemand für seine Taten allzu unbarmherzig bestraft werden dürfe – schon gar nicht, wenn es sich um einen allenfalls “symbolisch” existenten schrulligen Terror-Rentner handele, der von den kriegswütigen Amerikanern zum “Feindbild” aufgeblasen worden sei, und auf den diese eine “Menschenjagd” (“Der Spiegel “vom 7.5.11) veranstaltet hätten. Der “imperialistische” Westen und vor allem die USA bilden in besagtem obskurantistischen Weltbild nämlich die große Ausnahme: Die sind immer und von vorneherein an allem schuld, was sich in der Welt an Übeln ausfindig machen lässt.

Die Theorie von der amorphen al-Qaida ist romantische Verklärung

Das so schön ausgefeilte Konstrukt von der al-Qaida als einer gleichsam körperlos und amorph im Äther dahintreibenden Substanz ist jetzt durch die Dokumente, die in Bin Ladens Kommandozentrale sichergestellt wurden, kläglich in sich zusammengefallen. Als schlichte Tatsache erweist sich, dass Osama Bin Laden selbstverständlich bis zuletzt Oberster Befehlshaber der von ihm geschaffenen Terrororganisation war. Und dass er seinen mörderischen Untrieben unbehelligt mitten in Pakistan nachgehen konnte, weist auf eine weitere, ganz und gar unmysteriöse Realität hin: Terrorismus in größerem Ausmaß kann nicht stattfinden, wenn nicht Staaten hinter ihm stehen, die ihm den Rücken decken – oder wenn er nicht zumindest von Teilen staatlicher Apparate Unterstützung beziehungsweise systematische Duldung erfährt. An einen heimat- und grenzenlos umherschweifenden, losgelöst vom Erdboden dahinschwebenden, interesselos nur der eigenen Sache verpflichteten und sich selbst generierenden Terrorismus zu glauben, ist bestenfalls romantische Verklärung, im schlimmeren Fall Apologie einschlägiger Propaganda.

Doch unsere deutschen Oberlehrer in Sachen Straf- und Völkerrecht haben noch ein weiteres Argument im Köcher, mit dem sie Sinn und Nutzen der Tötung Bin Ladens in Zweifel ziehen können. Es lautet: Amerika habe durch diese Aktion seine Position im Nahen Osten und in der Welt keineswegs gestärkt. Das mit der al-Qaida sei doch im Grunde eine Geschichte von Gestern, die mit den komplexen und komplizierten Herausforderungen angesichts der jüngsten Umbrüche in der arabischen Welt kaum etwas zu tun habe.

Nicht nur aber liegen die deutschen Amerikakritiker mit diesem Einwand wieder völlig falsch, er lässt auch tiefe Einblicke in ihre eigentliche Motivlage zu. Denn dass die USA sich ihre Rolle als dominante Weltmacht Nr.1 nicht mehr leisten könnten und auf Augenhöhe Europas herabgesunken seien, von dem sie nun reumütig Rat und Zuspruch einholen müssten -so hatten es unsere unermüdlichen Amerika-Umerzieher gerne gehabt, und daran haben sie schon beinahe fest geglaubt. Die präzise geplante und perfekt durchgeführte Ausschaltung Bin Ladens demonstriert jetzt eindrucksvoll das Gegenteil: Agieren die USA konzentriert, zielgerichtet und entschlossen, können sie gegebenenfalls auf unzuverlässige Partner nach wie vor gut verzichten, und niemand kann sie in diesem Fall ernsthaft am Handeln hindern. Die Wirkung dieser Botschaft kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Nicht nur haben die USA der al-Qaida den Kopf abgeschlagen und ihr den Mythos der Unantastbarkeit ihres Führers geraubt, sie haben auch allen anderen autoritären und totalitären Amerikahassern ein klares Signal gesendet: Keiner von ihnen wird vergessen werden, wenn er es mit seinen Aggressionen gegen die Supermacht zu bunt treiben sollte – auch wenn es bisweilen ein wenig länger dauern sollte, bis sie an die Reihe kommen.

Diese Art von Ansage aber die einzige, die ihre Wirkung auf größenwahnsinnige Möchtegern-Welteroberer nicht verfehlt, und die allein ihre verbrecherische Energie ein wenig abbremsen kann. Wer von ihnen davon ausgegangen war, Amerika sei nur noch ein schwächelnder Papiertiger im unaufhaltsamen Niedergang und Barrack Obama ein unbedarfter Weichling, den sie nicht wirklich ernst nehmen müssten, wurde nun schockartig eines Besseren belehrt.

Obama pfeift auf die erhobenen Zeigefinger deutscher Riesenzwerge

Die USA haben sich durch die spektakuläre Aktion in Pakistan wieder Respekt als global einsatzfähige Führungsmacht verschafft. Und sie haben sich damit nicht zuletzt als maßgeblicher Mitspieler bei der anstehenden Neuordnung des Nahen Ostens massiv in Erinnerung gebracht. Genau das ist es jedoch, was unsere heimischen amerikakritischen Moralinproduzenten so gewaltig wurmt. Hatten sie sich seit der Wahl Barrack Obamas doch schon der Illusion hingegeben, die Vereinigten Staaten seien durch die jahrzehntelangen deutschen Dauerbelehrungen darüber, wie sich eine Weltmacht sittlich einwandfrei zu verhalten habe, endlich weichgekocht worden und würden sich – sozusagen als erfolgreiche Absolventen deutscher Reeducation -fürderhin streng an die Maßstäbe halten, die ihnen erleuchtete Leitartikler vom Format eines Jakob Augstein oder Heribert Prantl vorschreiben. In Barrack Obama sahen sie den Hoffnungsträger, der den rohen amerikanischen Vorherrschaftsanspruch abwickeln und dem alteuropäischen Willens zur bedingungslosen Dialogkultur endlich auch im moralisch verbockten und verbohrten Amerika Geltung verschaffen werde. Schon sahen sie den neuen US-Präsidenten nach dem Vorbild glorreicher EU-Außenpolitiker rastlos um den Globus eilen und Diktatoren und Massenmörder respektvoll um Gesprächstermine ersuchen, weil man doch sicher über alles noch einmal in Ruhe reden könne.

Umso bodenloser ist jetzt ihre Enttäuschung über den Mann im Weißen Haus, der sich in einer entscheidenden historischen Situation als würdiger, entschlossener Verteidiger der Freiheit erwiesen hat – beziehungsweise der, nach den Worten einer weiteren Moral-Mumie aus dem Mausoleum des Öko-Deutschpazifismus, “in die Blutspur” getreten ist “die ihm viele andere US-Präsidenten vorgezeichnet haben .” Die Wut darüber, dass Obama keinen Pfifferling auf die erhobenen Zeigefinger scheinheiliger deutscher Riesenzwerge gibt und die Geschichte ungerührt über die penetrante Dauerdarstellung ihrer nörgelnden Rechtschaffenheit hinweggeht, erklärt, warum sich der antiamerikanischer Moralinausstoß anlässlich der Tötung Bin Ladens über das hierzulande übliche Maß hinaus noch einmal in berserkerische Höhen gesteigert hat.

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