Präsident Obama – der Getriebene
Es läuft nicht schlecht für US-Präsident Obama – die Umfragewerte sind günstig. Doch ein Sieg bei den nächsten Wahlen ist noch lange nicht ausgemacht. Obamas unklare Wirtschaftspolitik könnte ihm zum Verhängnis werden.
Wahl- und Parteienforscher auf beiden Seiten des Atlantiks haben sich irgendwie darauf eingestellt, dass Barack Obama im kommenden Jahr für eine zweite Amtszeit als amerikanischer Präsident bestätigt wird. Seit Osama bin Laden tot ist und seit die Demokraten überraschend eine fast aussichtslose Nachwahl im Bundesstaat New York gewonnen haben, sind die Umfragewerte für Obama zwar nicht überwältigend, aber doch akzeptabel. Mehr als 50 Prozent der Amerikaner sind mit seiner Amtsführung jetzt zufrieden. Und weil das Feld der möglichen republikanischen Bewerber ziemlich schrecklich aussieht, gilt Obamas Wahlsieg manchen als ausgemachte Sache.
Obama hat fast sein komplettes Wirtschaftsteam ausgewechselt. Jetzt weiß niemand mehr, für was der Präsident steht.
All diese Spekulationen sind voreilig, denn sie stellen einen zentralen Faktor außer Rechnung: die Lage der amerikanischen Wirtschaft. “It’s the economy, stupid”, sagte Bill Clinton einmal – amerikanische Wahlen werden mit Wirtschaftsthemen gewonnen oder verloren.
Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 war Obamas Wahlsieg gegen den Republikaner John McCain fast unvermeidlich geworden. Jetzt sind Finanzkrise und Rezession zwar vorbei, auch dank Obamas Politik, aber die Arbeitslosigkeit ist kaum gesunken. Seit Franklin D. Roosevelt hat noch kein US-Präsident die Wiederwahl gewonnen, wenn die Arbeitslosenquote am Wahltag bei mehr als 7,2 Prozent lag. Schlecht für Obama: Die Quote stieg im vergangenen Monat auf erschreckende 9,1 Prozent, und das zwei Jahre nach Ende der Rezession.
Die Lage bessert sich also nicht, sie verschlechtert sich. Der Aufschwung bleibt anämisch – für die amerikanische Öffentlichkeit ist dies, nach den Jahren des Internet- und Immobilienbooms, eine neue, bittere Erfahrung. Dabei kommt diese Schwäche alles andere als überraschend. Sie wurde von vielen Ökonomen vorhergesagt. Aufschwung-Phasen nach einer schweren Finanzkrise sind immer schwach, weil die Auswüchse, die in die Krise geführt haben, erst nach und nach abgebaut werden müssen. Das kostet Wachstum. Deutschland ist derzeit, dank des überragenden Exports, ein glücklicher Sonderfall, aber in den USA gilt die Regel uneingeschränkt.
Denn die überschuldeten Haushalte müssen ihre Ausgaben herunterfahren, deshalb ist der Konsum schwach. Auch der hohe Ölpreis zieht Kaufkraft ab. Die Firmen stellen zu wenige Leute ein; im Mai entstanden nur 54000 neue Jobs, zwei Drittel weniger als erwartet. Die Langzeitarbeitslosigkeit, viele Jahre ein europäisches Problem, sucht jetzt Amerika heim. Und die Häuserpreise sinken, was weiteres Vermögen vernichtet.
Für all das macht die Öffentlichkeit den Präsidenten verantwortlich. Die Menschen erwarten, dass er, wie auch immer, Jobs schafft. Diese Erwartungen müssen enttäuscht werden. Theoretisch würde ein weiteres, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm vermutlich ein wenig helfen, aber so etwas verbietet sich angesichts der prekären Lage des US-Haushalts von selbst – abgesehen davon, dass es dafür keine Mehrheit im Kongress gäbe. Neue Steuersenkungen – ein Schlager der Republikaner – wären wiederum schlicht unverantwortlich. Auch die Notenbank (Fed) ist an ihre Grenzen gestoßen. Die Fed pumpt zwar immer noch Geld in die Wirtschaft, aber dieses Programm läuft diesen Monat aus. Käme Fed-Chef Ben Bernanke auf die Idee, die Geldmengenschöpfung nochmals zu verlängern, würde er vermutlich einen Aufruhr an den Finanzmärkten auslösen.
Obama kann also, selbst wenn er wollte, kurzfristig keine Arbeitsplätze schaffen. Viele Elemente seiner Wirtschaftspolitik – Förderung der Innovation, Verbesserung der Exportfähigkeit – sind richtig, aber sie wirken nur mittelfristig. Kurzfristig führt seine Sparpolitik sogar dazu, dass staatliche Jobs zu Tausenden vernichtet werden. Auch das ist unvermeidbar. Umso wichtiger wäre es für den Präsidenten, die Hegemonie in der Debatte über Ökonomie wieder zu erlangen.
Im Moment wirkt er aber wie ein Getriebener. Die Republikaner haben die Deutungshoheit über den Haushalt. Die Populisten der Straße verlangen, dass der Präsident etwas gegen die hohen Benzinpreise unternimmt, die im Vergleich zu Europa immer noch lächerlich niedrig sind – am besten dadurch, dass er neue Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko zulässt. Auf all das ist das Weiße Haus schlecht vorbereitet: Obama hat sein komplettes Wirtschaftsteam ausgewechselt, mit Ausnahme von Finanzminister Timothy Geithner. Jetzt weiß niemand mehr, für was der Präsident steht.
Obama muss lernen, mit seinen Wählern – oder Nicht-Mehr-Wählern – über Wirtschaft zu kommunizieren. Er muss erstens den Kern seiner Wirtschaftspolitik klarmachen: Worauf kommt es ihm an, wie will er die schweren Probleme des Landes lösen? Und er muss zweitens zeigen, dass er bereit ist, für das als richtig Erkannte auch zu kämpfen.
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