The United States Wants More German Reliability

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USA wollen mehr deutsche Verlässlichkeit

Von Matthias Naß

5.6.2011

Barack Obama empfängt Angela Merkel zum Bankett in Washington. Die USA sind über die Beziehungen zu Deutschland tief besorgt. Nicht nur wegen Libyen.

Amerika rollt in dieser Woche den ganz dicken roten Teppich für Angela Merkel aus. Barack Obama wird die Kanzlerin geradezu hofieren. Erst drei Staatsbankette hat der US-Präsident in seiner Amtszeit gegeben: für die Staatspräsidenten Chinas und Mexikos sowie für den indischen Premier. Das vierte richtet er am Dienstag für Merkel aus. Und als wäre das der Auszeichnung noch nicht genug, verleiht er ihr auch noch die Presidential Medal of Freedom, den höchsten zivilen Orden der Vereinigten Staaten. Washington feiert die deutsch-amerikanische Freundschaft – weil es um deren Zustand tief besorgt ist.

Das bilaterale Verhältnis ist empfindlich gestört, seit sich die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Intervention in Libyen der Stimme enthielt und damit an der Seite Russlands und Chinas gegen die engsten Verbündeten Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten votierte. Die Fragen, die seither im State Department und im Weißen Haus gestellt werden, sind sehr grundsätzlicher Natur: Wohin geht Deutschland? Wo sieht es seinen Platz in der Welt? Welche Rolle will es künftig spielen?

Dass sich diese Fragen ausgerechnet an Angela Merkel richten, entbehrt nicht der Ironie. War die Kanzlerin nach dem Zerwürfnis zwischen Gerhard Schröder und George W. Bush und dem Streit über den Irak-Krieg in Washington doch mit größter Sympathie und höchsten Erwartungen begrüßt worden. Merkel galt als solide, beständig, zuverlässig – als eine entschiedene Streiterin für die Freiheit und die Menschenrechte und als eine unbeirrbare Freundin Amerikas.

Und heute: Die Kanzlerin taktiere, sie habe nur die Innenpolitik im Auge, heißt es in Washington. Zweifel an der Verlässlichkeit Deutschlands machen sich breit. “Wo ist der Partner?”, fragt Heather A. Conley vom Center for Strategic and International Studies (CSIS). “In der Großen Koalition konnte Merkel nicht frei führen. Jetzt, da sie es kann, ist es furchtbar zu sehen, wie unfähig sie zur Führung ist.”

Deutschland scheue die Übernahme internationaler Verantwortung und Führung, kritisiert auch Stephen F. Szabo von der Transatlantic Academy. Dabei zeige sich, dass sich die innenpolitische Taktiererei für Merkel nicht lohne: “Libyen hat ihr in Baden-Württemberg nicht eine Stimme mehr gebracht!”

Als Hauptverantwortlicher für das Libyen-Debakel gilt Guido Westerwelle. Der deutsche Außenminister, so ist in Washington immer wieder zu hören, sei seiner Aufgabe schlicht nicht gewachsen. Aber vor dem Libyen-Votum habe sich Merkel im entscheidenden Vier-Augen-Gespräch seiner Ansicht angeschlossen – gegen die einmütige Empfehlung aller hohen Beamten im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt. Damit liege die Verantwortung für die Isolation Deutschlands im Bündnis bei ihr. Daran ändert auch nichts, dass selbst Berliner Kabinettsmitglieder auf Besuch in Washington hinter geschlossener Tür die deutsche Position zu Libyen einen Riesenfehler genannt haben. Immerhin, die Amerikaner haben dies aufmerksam registriert.

Die Zukunft Europas macht den Amerikanern mehr Sorgen als das Schicksal Libyens

Ginge es doch nur um Libyen! Noch nervöser macht die Amerikaner Merkels erratische Agieren in der europäischen Staatsschuldenkrise. Mit dem Euro könnte das gesamte internationale Finanzsystem ins Rutschen geraten. Deshalb wird von der Kanzlerin erwartet, endlich beherzt die Führungsrolle wahrzunehmen, die Deutschland in Europa als größte Volkswirtschaft zukommt.

Gerade in Sachen Europa aber sind die Zweifel an Merkels Standfestigkeit am stärksten. Charles A. Kupchan vom Council on Foreign Relations sorgt sich um die “Renationalisierung”, die allenthalben in Europa, auch in Deutschland, um sich greife. “Was auffallend ist: Merkel scheint keine sehr leidenschaftliche Europäerin zu sein.”

Die Zukunft Europas macht den Amerikanern jedenfalls mehr Sorgen als das Schicksal Libyens. Und die Schlüsselrolle spiele nun einmal Deutschland. Das aber habe sich aus der Außenpolitik gerade abgemeldet.

Amerika braucht starke Partner, mehr denn je zuvor. Die Kriege im Irak und in Afghanistan sind daheim nicht populärer als in Europa und werden zunehmend als schwere finanzielle Belastung empfunden. Die Staatsverschuldung ist eher noch bedrohlicher als in den europäischen Sorgenländern. Im Aufstieg Chinas spiegelt sich in den Augen vieler Amerikaner der eigene Abstieg. Obama wird zwar gern der “erste pazifische Präsident” genannt. Aber gerade weil er weiß, dass die Vereinigten Staaten die asiatische Herausforderung nicht allein bestehen können, wirbt er um die Kanzlerin.

“Wir wollen Euch wieder im Boot haben!” Dies sei die Botschaft der US-Regierung an die Gäste aus Berlin, heißt es in Washington. Die Geste an die Kanzlerin sei mehr noch eine Geste an Deutschland. Tatsächlich ist die Nervosität groß, die transatlantischen Bindungen könnten sich, zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, lockern. Staatsbankett und Freiheitsmedaille gegen eine neue deutsche Verlässlichkeit: Das wäre es dem nüchternen Obama allemal wert.

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