Das Verhältnis der USA zu Deutschland ist nicht so schlecht, wie viele meinen. Schlecht ist nur Berlins Außenpolitik.
Das Problem ist nicht das deutsch-amerikanische Verhältnis, wie der Chor der Mahner wähnt. Im Gegenteil: Es ist heute besser als zu Genschers oder Schröders Zeiten. Jedenfalls hat keiner von den beiden die Medal of Freedom erhalten, die höchste Auszeichnung, mit der Obama die Kanzlerin am Dienstag ehrte. Das eigentliche Problem ist die neue deutsche Außenpolitik, ein noch nie da gewesenes Gewirr aus Unilateralismus und Isolationismus – was die Deutschen sonst so gern den USA vorwerfen. Eine hübsche Ironie.
Es gab Zeiten, und nicht zu knapp, da regierte auf amerikanischer Seite das Misstrauen oder gar die Wut. In den Jahren der Ostpolitik traute Henry Kissinger dem deutschen Chefunterhändler Egon Bahr nicht über den Weg; das Wörtchen vom »Nationalneutralismus« machte die Runde. Hans-Dietrich Genscher galt in Washington als »slippery man«, als »aalglatter« Akrobat zwischen den Welten, der gegen Amerika eine Sonderentspannung mit Moskau und Ost-Berlin einfädeln wollte.
Das Problem ist eine deutsche Strategie, die keine ist
Der absolute Tiefpunkt war die Ära Schröder, als der im Vorfeld des Irakkrieges ein antiamerikanisches Bündnis mit Frankreich und Russland zusammenschirrte. »Ich war geschockt und wütend«, schreibt George W. Bush in seinen Memoiren Decision Points (2010). Schröder habe sein »Vertrauen missbraucht«. Danach »war ein konstruktives Verhältnis schwierig geworden«. Das ist die diplomatische Umschreibung für die Dauer-Vereisung zwischen Weißem Haus und Kanzleramt, die sich erst mit der Wahl von Angela Merkel wieder auflöste.
Dagegen ist das Verhältnis zwischen Obama und Merkel (»eine gute Freundin«) von geradezu anheimelnder Wärme. Obama nennt sie »eine meiner besten Partnerinnen«, die zwei telefonieren regelmäßig miteinander. »Küsschen, Küsschen« ist beiden nicht gegeben; stattdessen zählen die Freiheitsmedaille und das Staatsbankett, das zuvor nur den Staatsgästen aus China, Indien und Mexiko gewährt worden war.
Nein, die Beziehung der Hauptstädte ist nicht das Thema, und schon gar nicht im Vergleich zu früheren Verknotungen. Das Problem ist eine deutsche Strategie, die keine ist – es sei denn, man wolle Selbst-Isolierung als »Außenpolitik« verklären. Auch das Schmähwort »unzuverlässig«, das durch die Kommentare geistert, trifft daneben. Denn kein Kanzler hat je die nationalen Interessen total im Westen verankert, nicht einmal Adenauer. »Der Kanzler der Alliierten«, als den die SPD ihn verhöhnte, ist nach dem Nato-Beitritt schnurstracks nach Moskau geeilt, um eine Art »Rückversicherung« auszuhandeln – wie zuvor Bismarck und Stresemann, wie danach Brandt und Nachfolger.
Dieses strategische Kalkül war das Gegenteil der gedankenlosen Reflexe, die heute unsere Freunde verblüffen: die Alleingänge, die nicht wie unter Wilhelm II. Ruhmsucht oder Machtanspruch verkörpern, sondern einfach nur das »Allein«, die Selbst-Abkapselung. Im Inneren wird sie durch den blitzartigen Atomausstieg symbolisiert. Der ist mit den Nachbarn nicht abgestimmt worden, obwohl er, wie der Pariser Energieminister zu Recht monierte, ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen werde.
Das »Ohne uns« in Libyen ist die Entsprechung im Äußeren. Wer wollte nun Deutschland isolieren, wenn es sich selber isoliert? Lassen wir die sattsam debattierte Frage, wer eigentlich recht hat. In der Politik geht es immer darum, recht zu behalten, und das kann nicht funktionieren, wenn man sich von vornherein auf »Einer gegen alle« versteift oder mit den falschen Freunden (Moskau und Peking) verbündet. »Nie allein« ist seit Bismarck oberstes Gebot aller deutschen Politik; Merkel und Westerwelle sind die Ersten seit 1945, die es ohne Not verworfen haben.
Merkel mag sogar recht haben, wenn sie als Preis für die Alimentierung der Euro-Pleitiers scharfe Reformen fordert. Aber auch in der EU gilt: Wer recht behalten will, muss Koalitionen schmieden. Die Peitsche vorzeigen und dann doch zahlen ist kein Musterbeispiel der Staatskunst, jedenfalls nicht aufseiten einer Wirtschaftssupermacht, die zugleich eine Schlüsselrolle im Bündnis spielt – oder einst spielen wollte. Kein Wunder, dass der Alleinunterhalter Sarkozy sofort in das Vakuum vorgestoßen ist, das Merkel ihm hinterlassen hat.
Das ist nicht die Kanzlerin, wie wir sie nach ihrer Wahl 2005 kennengelernt haben. Die instinktiv verstand, dass Schröder ihr ein windschiefes Haus in der Außenpolitik hinterlassen hatte. Die als Erstes den atlantischen Graben einebnete und auf Abstand zu Putin ging. Die auf der EU-Bühne geduldig und geschickt Mehrheiten organisierte. Die nach ihrer Devise handelte: »Pluspunkte durch Vertrauen sammeln«. Jetzt wirkt Deutschland wie eine Panik-Republik, die keine Außenpolitik mehr kennt, sondern nur noch Stimmungen, denen es in Landtagswahlkämpfen hinterherzulaufen gilt. Die man dann trotzdem verliert. Oder auch deswegen.
Die neue Politik als alten Nationalismus zu deuten führt in die Irre. Es ist ein »defensiver Nationalismus« unter dem Banner »Lasst uns in Ruhe!«. Das ist keine »große Strategie«, sondern eine ganz kleine, die einem großen Land nicht ziemt. Dass Macht auch Verantwortung heische, ist just das, was Obama der Kanzlerin gerade mit einem Höchstmaß an Pomp und Zeremoniell einzuflößen versuchte. Das Schöne dabei: Wer sich selber isoliert, kann sich auch selber aus Vereinsamung und Bedeutungsverlust befreien.
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