Obama’s Vision of the Future

<--

Deutschland bleibt für Amerika der wichtigste, wenn auch etwas sperrige Partner in Europa. Obamas Ehrenbekundungen für Kanzlerin Merkel sind auch eine Investition in die Zukunft: Ginge es nach Amerika, könnte Deutschlands Führungsrolle nicht groß genug sein.

Wenn das Protokoll ein Gradmesser für die Qualität der Beziehungen ist, dann braucht man sich um das deutsch-amerikanische Verhältnis offensichtlich keine Sorgen zu machen. Besser könnte es nämlich nicht sein. Bundeskanzlerin Merkel ist in Washington mit Ehrenbekundungen seitens der amerikanischen Regierung im Allgemeinen und von Präsident Obama im Besonderen geradezu überhäuft worden.

So unrepublikanisch pompös ist der Empfang gewesen, dass Obama, der als Präsident bisher den Weg nicht nach Berlin gefunden hat – manche sagen: er habe die deutsche Hauptstadt gemieden – fast in Erklärungsnot geraten war: Warum wird eigentlich Frau Merkel jetzt mit dem höchsten zivilen Orden der Vereinigten Staaten ausgezeichnet?

Die vordergründige Antwort lautet: Weil die Biographie der Kanzlerin nach wie vor eine gewisse Faszination auf die Amerikaner ausübt, ob nun Angela Merkel und Barack Obama ein Herz und eine Seele sind oder nicht. Die politisch gehaltvollere Antwort gilt dem Land, das die Geehrte repräsentiert: Großbritannien ist gewiss der Partner, auf den sich die Amerikaner nach wie vor felsenfest verlassen können. Aber das wiedervereinigte Deutschland ist und bleibt für die Vereinigten Staaten der wichtigste, wenn auch manchmal etwas sperrige und zur Selbstgerechtigkeit neigende Partner in Europa.

Deutschland hatte in der jüngeren Vergangenheit regelrecht Konjunktur in Amerika. Das zweite deutsche Wirtschaftswunder wurde und wird bestaunt, zumal angesichts der unbefriedigenden wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Arbeitslosigkeit im eigenen Land. Das Staunen mündete in die Frage, was man von Deutschland zum Zwecke der Reindustrialisierung und der technischen Modernisierung der Vereinigten Staaten in puncto Umwelt lernen könne.

Der deutsch-amerikanische Gegensatz war nicht einmal zu bemänteln

Aber das ist nur ein Teil: Die Mithilfe Berlins wird gesucht für die Bewältigung wirtschaftlicher Krisen und politischer Konflikte sowie zur Lösung globaler Probleme. Ginge es nach der amerikanischen Führung, könnte Deutschlands Führungsrolle sowohl in Europa als auch darüber hinaus nicht groß genug sein. Es ist eine konstante Erwartung der amerikanischen Politik, dass Deutschland europa- und weltpolitische (Führungs-)Verantwortung übernehmen und substantielle Beiträge leisten solle, von der Euro-Krise bis zu Afghanistan. Wenn Deutschland dieser Erwartung nicht oder nach amerikanischem Dafürhalten nicht ausreichend gerecht wird, ist die Enttäuschung zuverlässig groß. Womit wir bei der deutschen Libyen-Politik angekommen wären.

Selten hat eine Entscheidung einer Bundesregierung ihre – wie man jetzt ausdrücklich hinzufügen muss – alten westlichen Verbündeten so irritiert wie die Enthaltung in der Abstimmung des UN-Sicherheitsrates über die Libyen-Resolution. Die Bundesregierung suchte rhetorisch den Schulterschluss mit den nichtdemokratischen Ländern China und Russland, deren Enthaltung faktisch Zustimmung bedeutete, und verweigerte sich einer Nothilfeoperation, die nicht im Zweifel mangelnder Legalität und Legitimität stand.

Die Verwunderung war und ist so groß, weil die deutsche Enthaltung als Wiederkehr einer Mentalität empfunden wird, die sich Deutschland sicherheits- und weltpolitisch am liebsten als eine große Schweiz denkt. Dass diese im Kontrast zu der globalen Ausrichtung der deutschen Wirtschaft und zu einer selbstbewussten Außenwirtschaftspolitik steht, macht die Irritation nur noch größer. Obama selbst hat beim G-20-Treffen im vergangenen Herbst in Seoul von Frau Merkel eine eindrucksvolle Vorführung bekommen, wie robust die Bundesregierung deutsche Wirtschafts- und Finanzinteressen vertreten kann. Der deutsch-amerikanische Gegensatz war nicht einmal zu bemänteln.

Obamas Investition in die Zukunft

Ganz offensichtlich ist das Deutschland von heute nicht mehr jenes Deutschland, das vor allem Sicherheitsklient Amerikas war. Es verfügt heute über mehr Optionen, und gelegentlich handelt es situativ, ohne strategischen Plan. Unsere Berechenbarkeit erhöht das nicht. Aber es ist nun auch wieder nicht so, dass wir unserer Wege gingen; wir sollten es auch nicht versuchen. Dafür ist Deutschland zu tief und existentiell in die atlantisch-europäischen Bezüge eingewoben.

Doch das deutsch-amerikanische Verhältnis lebt nicht mehr von der Vergangenheit. Als Herzstück der atlantischen Gemeinschaft muss es sich bewähren in der Bewältigung der großen Fragen der Gegenwart und der näheren Zukunft. Noch immer und trotz aller Misstöne und politisch-kultureller Eigenarten empfinden beide Seiten viel Empathie füreinander. Diese muss der Humus sein für eine interessengeleitete Zusammenarbeit, zum Beispiel in Afghanistan, im Mittleren Osten, bei der Antwort auf den Aufstieg neuer Großmächte. Weil die Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren den Gürtel werden enger schnallen (müssen), werden sie mehr denn je nach Partnern Ausschau halten, die ihnen Lasten abnehmen, zumindest mit ihnen teilen.

Insofern war es eine Investition in die Zukunft, dass und wie Präsident Obama der Kanzlerin im Weißen Haus den Hof gemacht hat. Frau Merkel sollte sich dessen bewusst sein. Seinen Ruf hat man schnell verloren.

About this publication