Bomben gegen Gaddafi
Obama und der Kriegskosten-Kniff
Der US-Kongress setzt US-Präsident Obama wegen des Libyen-Einsatzes unter Druck, fordert sein Mitspracherecht ein. Obama reagierte jetzt mit einem verblüffenden Trick und erklärte: die Mission sei gar kein Krieg. Die eskalierenden Kosten kann er jedoch nicht wegdiskutieren.
Washington – In Washington wird die Kritik am anhaltenden Libyen-Einsatz der USA immer lauter. Weshalb sich das Weiße Haus am Mittwoch zu einem ungewöhnlichen Schritt entschloss: Es überreichte dem Kongress einen detaillierten Zwischenbericht über die Mission – und mailte den dann auch ans Pressekorps.
Der Streit über den Libyen-Einsatz der USA ist voll entbrannt, Abgeordnete und Senatoren zweifeln sowohl an der Rechtmäßigkeit der US-Militäraktion als auch an den eskalierenden Kosten. Der Kongress fühlt sich von Präsident Barack Obama übergangen und wirft ihm vor, mit dem Libyen-Krieg seine Autorität zu überschreiten.
Denn per Gesetz kann nur der Kongress Kriege erklären. Obama hätte das Parlament demnach spätestens nach 60 Tagen um Erlaubnis bitten müssen. Diese Frist lief am 20. Mai ab. Nach weiteren 30 Tagen – am kommenden Sonntag also – müssten die Truppen abgezogen werden.
Für Obama treffen vor allem die juristischen Vorwürfe eine wunde Stelle: Er ist schließlich selbst Verfassungsrechtler. Als Wahlkämpfer beschuldigte er Vorgänger George W. Bush, seine Befugnisse überschritten zu haben, unter anderem mit seiner scharfen Anti-Terror-Politik. Als Obama sein Amt antrat, schwor er, sich dagegen strikt an die Gesetze zu halten.
Der nun vorgelegte Zwischenbericht dürfte Obamas Kritiker jedoch kaum beruhigen. Besonders eine Passage weiter unten im Bericht, auf Seite 25, die “Juristische Analyse”, dürfte vielen Abgeordneten sauer aufstoßen. Zumal sich Obama eines verblüffenden Tricks bedient, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Warum der Krieg kein Krieg sein soll
Am Mittwoch stellte der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner John Boehner, Obama schriftlich ein Ultimatum: Selbst bei flexibler Interpretation der War Powers Resolution von 1973 – dem Folgegesetz des War Power Acts von 1917, das die Kriegsautorität regelt – laufe Obamas Schonzeit ab. Offenbar glaube der Präsident, dass die Rechtslage nicht auf Libyen zutreffe – oder er halte sie für verfassungswidrig. So oder so: Boehner verlangte “respektvoll” Antworten.
Diese gibt Obama jetzt – mit einem juristischen Salto.
Die “beschränkte” Libyen-Operation, heißt es in dem Bericht nämlich, erfülle die Definition des Krieges gar nicht: Sie seien “in Natur, Umfang und Dauer begrenzt”, entsprächen deshalb also nicht jener “Art von ‘Feindseligkeiten'”, wie sie von der War Powers Resolution geregelt seien. “Die US-Einsätze umfassen keine anhaltenden Kämpfe oder aktiven Schusswechsel mit feindlichen Kräften”, schreibt die Regierung. Auch seien keine US-Bodentruppen im Einsatz.
Das Weiße Haus listet im Detail auf, wie sich die US-Rolle seit Beginn der Mission reduziert habe. Seit dem 31. Mai seien zwei Drittel der mehr als 10.000 Flugeinsätze aufs Konto nicht-amerikanischer Koalitionspartner gegangen – Tendenz steigend. Die Schiffe, die das Waffenembargo überwachten, kämen aus Europa oder Kanada. Zugleich stellten die USA fast 70 Prozent der Geheimdienstinformationen und den Großteil der Wiederauftank-Kapazität. Auch seien seit dem 23. April unbemannte US-Drohnen gegen “eine begrenzte Zahl klar definierter Ziele” im Einsatz.
“Wir handeln rechtmäßig”
“Wir haben keine Truppen am Boden”, betonte ein hochrangiger Regierungsbeamter am Mittwochabend. “Wir betreiben keine andauernden Kämpfe.” Die “Aktivitäten” fielen deshalb nicht unter das Statut, wonach Obama um Autorisierung bitten müsste. “Wir handeln rechtmäßig”, sagte auch Harold Koh, der Chefjurist im US-Außenministerium, der “New York Times”.
Dieser Meinung schließen sich nicht alle an. Zehn Kongressmitglieder – drei Demokraten, sieben Republikaner – reichten am Mittwoch Klage gegen Obama ein, um ihn zu zwingen, die US-Kräfte aus der Nato-Mission abzuziehen. “Das Gesetz wurde gebrochen”, erklärte der demokratische Abgeordnete Dennis Kucinic. Solche Klagen haben aber selten Chancen und sind meist nur symbolisch.
Das Weiße Haus verwehrt sich auch gegen Beschwerden, es habe die Abgeordneten nicht ausreichend über den Einsatz informiert. Man habe den Kongress “ausgiebig konsultiert”: Seit dem 1. März hätten Regierungsmitglieder auf mehr als zehn Kongressanhörungen zu Libyen ausgesagt, sich an mehr als 30 hochrangigen Briefings beteiligt und Dutzende Telefonate mit einzelnen Abgeordneten geführt. Auch seien mehr als 1600 Kongressmitarbeiter per E-Mail mit 32 Statusberichten versorgt worden.
Mehr als eine Milliarde Dollar Kriegskosten
Erstmals schlüsselte die Regierung Obama auch detailliert die bisherigen Gesamtkosten des Krieges gegen Muammar al-Gaddafi auf – sie sind weit höher als bislang öffentlich bekannt. Mehr als eine Milliarde Dollar wird der Einsatz die USA demnach in diesem Haushaltsjahr kosten, das am 30. September endet. Das ist zugleich auch der Termin, an dem die zweite 90-Tage-Autorisierung durch die Nato abläuft.
Bisher (Stichtag 3. Juni) verfeuerten die USA in Libyen bereits 715,9 Millionen Dollar, unter anderem für Militärsold, Transport, Flugeinsätze, Munition und Vorräte.
Bis Ende September rechnet die Regierung mit Gesamtkosten von 1,1 Milliarden Dollar (umgerechnet 770 Millionen Euro).
Der Löwenanteil entfällt auf laufende Operationskosten (618 Millionen Dollar), gefolgt von Munition (450 Millionen Dollar) und Transport (450 Millionen Dollar).
Der kleinste Einzelposten ist die humanitäre Hilfe: eine Million Dollar.
Das Pentagon rechnet dabei jedoch fast 300 Millionen Dollar dagegen, die die Air Force an anderweitigen Betriebskosten sparen würde: In Wahrheit beliefen sich die Gesamtausgaben also nur auf rund 800 Millionen Dollar.
Angesichts des eskalierenden Haushaltsstreits – mit US-Präsident Barack Obama und den Demokraten auf der einen Seite und den Republikanern auf der anderen – dürften solche astronomische Summen für neuen, heftigen Streit sorgen.
Um die Kosten wie auch die politische Debatte zu rechtfertigen, müht sich das Weiße Haus in seinem Bericht, konkrete Resultate der Aktion zu präsentieren. Die Bemühungen der Koalition seien bisher “effektiv” gewesen: “Das Regime hat etliche Niederlagen erlitten, Städte und Orte in ganz Libyen sind vom brutalen Belagerungen befreit worden, starke Sanktionen bestehen, und das Regime gerät in ernste Schwierigkeiten, durch Ölverkäufe und andere Mittel noch Einnahmen zu machen.”
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