The Three Mistakes of the West

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Die USA verhandeln mit den Taliban. Der Krieg in Afghanistan ist verloren.

Nach fast zehn Jahren Krieg verhandeln die USA direkt mit den Taliban. Der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates hat dies jetzt bestätigt. Mit wem die USA worüber sprechen, das bleibt im Ungewissen. Zufall ist das nicht. Denn die Taliban sind eine so effiziente wie vielgliedrige und schattenhafte Bewegung. Wer sie vertritt, wer überhaupt ein Abkommen schließen könnte, darauf gibt es keine Antwort.

Darum hat Gates’ Ankündigung kaum inhaltliche Bedeutung, sondern eine symbolische. Und die ist verheerend: Der Krieg in Afghanistan ist für den Westen verloren – und zwar nicht gemessen an den eigenen, viel zu hoch gegriffenen Standards, sondern gemessen an den Realitäten vor Ort.

Die Taliban nämlich können sich jetzt schon als Sieger sehen. Sie müssen nicht verhandeln, sie müssen nur warten, bis die westlichen Truppen abziehen. Der Abzug ist beschlossene Sache, er ist unumkehrbar. Die ersten 10.000 US-Soldaten werden schon im Juli in ihr Heimatland zurückkehren. 2014 soll die Sache in Afghanistan ein Ende haben. Danach werden die Taliban das Schicksal Afghanistans wesentlich bestimmen. Im besten Fall werden sie mit den vom Westen unterstützten Kräften einen sehr wackeligen Kompromiss schließen, der das Land halbwegs stabil hält.

Doch wie stark ihr Einfluss ist, erkennt man daran, dass Afghanistans Präsident Hamid Karsai schon heute antiwestliche Töne anschlägt, die man normalerweise aus dem Munde eines Taliban hören kann. Im schlimmsten Fall gibt es einen Rückfall in die achtziger Jahre. Damals wurde das Land im Bürgerkrieg zerrissen. Ein Afghanistan ohne Taliban gibt es in keinem dieser Szenarien.

Heißt das, die zehn Jahre waren vergeblich? Ein Ja kommt einem schnell über die Lippen, und es würde überzeugend klingen. Doch muss man die Gegenfrage stellen: Gab es denn eine Alternative zur Intervention? Al-Qaida war 2001 eine echte Gefahr, und Afghanistan war der Dreh- und Angelpunkt ihrer Pläne. Kein US-Präsident hätte lange im Amt bleiben können, wenn er nach den Anschlägen vom 11. September nicht gehandelt hätte. Handeln hieß in diesem Fall Krieg führen. Kein Nato-Bündnispartner hatte damals die Möglichkeit, sich nicht zu beteiligen. Bei dem Einsatz in Libyen konnte Deutschland – und viele andere Nato-Partner – außen vor bleiben, bei Afghanistan ging das nicht.

Der Afghanistaneinsatz war ein Fehler, aber ein unvermeidlicher. Das war das Teuflische am 11. September. Er lockte die Supermacht in den afghanischen Treibsand, sehenden Auges. Man wusste genau, in welches Land man sich begab. Schließlich war es eines der zentralen Schlachtfelder des Kalten Krieges gewesen. In Afghanistan hatten die USA über ihre Verbündeten der Sowjetunion eine bittere Niederlage zugefügt. Man kannte Afghanistan, nicht nur seine schrundigen Berge, seine unwirtlichen Steppen und glühenden Wüsten. Man kannte auch das ganze gruselige Personal. Es gibt eine erstaunliche personelle Kontinuität unter den afghanischen Kriegsherren. Teilweise verhandelten schon die Sowjets im Jahr 1989 mit denselben Leuten ihren Abzug, mit denen jetzt die Amerikaner sich einig werden müssen.

Der erste, entscheidende Fehler des Westens lag in seiner Überheblichkeit. Er fühlte sich 2001 so reich, so mächtig und stark, dass er glaubte, alles schaffen zu können. Das war Verblendung.

Der zweite Fehler war, dass er an seinem Gefühl der Überlegenheit festhielt und weiter Krieg führte, auch dann noch, als er sein wichtigstes Ziel schon längst erreicht hatte: al-Qaida in Afghanistan zu zerschlagen.

Der dritte Fehler bestand darin, dass der Westen sich selbst nur als gute Kraft sehen konnte. Der Imperialismus mag tot sein, doch die imperialistische Mär von der zivilisierenden Mission westlicher Soldaten hat bei der Afghanistanmission eine Rolle gespielt. Nie war der Westen in der Lage, den Standpunkt vieler Afghanen einzunehmen. Sie sahen die westlichen Soldaten zunehmend als Besatzer. Doch wer sich selbst nicht durch die Augen des anderen zu betrachten vermag, ist zum Verlieren verdammt.

Es geht jetzt ans Aufräumen. Es ist Zeit, den ideologischen Ballast abzuwerfen, der den Westen in Afghanistan in die Irre führte. Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat? Aber ja, immer und überall. Doch können sie nicht mit Bajonetten eingepflanzt werden. Intervenieren? Niemals aus reinem Prinzip. Die Moral verlangt das Unmögliche, aber im wahren Leben ist sie tolerant. Sie gebietet uns, das zu tun, was wir vermögen.

Und was wir tun können, ist nicht wenig, auch in Afghanistan. Das beginnt einmal damit, dass dieses Land auch nach dem Abzug westlicher Soldaten nicht völlig aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verschwinden darf. Wir sollten hinschauen, weiterhin, helfen auch, aber ohne Soldaten.

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