Erbärmliche Bilanz in Afghanistan
Von Martin Stricker
26. Jun 2011
Die USA und der Westen bescheiden sich mit einem minimalen Sicherheitsziel. Die großen Versprechen an das Volk sind vergessen.
Wenn Afghanistans Präsident Hamid Karzai warnt, dass „der Terror” an Boden gewinnt, meint er die Taliban: Eine nationalistische und vielschichtige Strömung bis hin zu simplen Kriminellen – international aber weder aktiv noch interessiert. Es waren nicht die Taliban, es waren die arabisch-stämmigen Fanatiker der El Kaida, die das Selbstmordattentat als Waffe im Kampf gegen die weltweite Vorherrschaft des Westens salonfähig gemacht haben.
Hätte die Taliban-Führung nicht den Fehler gemacht, der El Kaida Zuflucht zu bieten, wäre sie jetzt noch am Ruder und könnte weiterhin in Seelenruhe missliebige Mitbürger im Fußballstadion von Kabul öffentlich foltern und töten lassen.
Die Unterscheidung zwischen Taliban und El Kaida ist wichtig, weil sie die Politik der USA und der NATO erhellt. Mit der Tötung von Osama bin Laden scheint die entscheidende Schwächung der El Kaida gelungen. Das Konzept des internationalen Dschihad ist gescheitert, die Bedrohung verschwunden. Wieso also sollten junge Amerikaner und Europäer weiterhin in Afghanistan sterben? Und für wen? Seit langem zeichnet sich ab: Kann einigermaßen sicher gestellt werden, dass Afghanistan nicht erneut zum sicheren Hafen für die globale Dschihad-Gemeinschaft wird, beginnt der Rückzug.
Genau das geschieht. Der Westen bescheidet sich mit einem Sicherheitsziel. Solange die Taliban wie gewohnt nur zu Hause Terror verbreiten und die El Kaida nicht wieder Fuß fassen kann, gilt der Hindukusch nicht mehr als Problem Nummer 1 – anders gesagt: sollen die Afghanen selbst sehen, wo sie bleiben; selbstverständlich unter Beobachtung und ständiger Präsenz des Westens.
Soweit also die Sicherheitspolitik. Ansonsten bietet das vergangene Jahrzehnt ein noch erbärmlicheres Bild. Unter Führung und Hauptverantwortung der USA und mit Beihilfe von NATO, Pakistan und dem Iran sowie der endlos korrupten politischen und wirtschaftlichen Elite Afghanistans ist es gelungen, eines der viel versprechendsten Projekte des jungen 21. Jahrhunderts an die Wand zu fahren. Ende 2001 jubelte die Bevölkerung über den Sturz der Taliban. Die Menschen sehnten sich nach der friedlichen demokratischen Zukunft, die ihnen der Westen versprach. Und jetzt? Die alten Warlords sind nach wie vor an der Macht, die Islamisten gelten in vielen Regionen wenigstens als nicht korrupt und das Gespenst des Bürgerkriegs geht um. Es ist eine Schande.
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