Talk to the Islamists!

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Mit den Islamisten reden!

Von Nora Müller

8.7.2011

Der Westen muss seine Berührungsängste mit islamistischen Parteien ablegen. Sie gehören zu den Gewinnern des arabischen Frühlings, schreibt N. Müller im Gastbeitrag.

Der Westen unterstützt Demokratie und freie Wahlen – aber nur, solange die Richtigen gewählt werden: so denken noch immer viele Menschen zwischen Rabat und Riad. Das “D-Wort” ist in der arabischen Welt zum Reizwort, zum Inbegriff westlicher Doppelmoral geworden. Spätestens seit die radikal-islamische Hamas im Januar 2006 die Parlamentswahlen in den Palästinensischen Autonomiegebieten gewonnen hat und binnen weniger Tage von Europäern und Amerikanern mit einem Boykott belegt wurde, hat westliche Demokratieförderung im Nahen Osten einen bitteren Beigeschmack: den des double standard, des Mit-zweierlei-Maß-Messens.

Doch mit dem arabischen Frühling hat der Westen eine zweite Chance bekommen. Denn jetzt, da Diktaturen gestürzt und neue Systeme im Entstehen sind, können Europäer und Amerikaner unter Beweis stellen, dass es ihnen wirklich ernst ist mit der Demokratie in der arabischen Welt. Dazu gehört vor allem diejenigen politischen Kräfte anzuerkennen, denen es gelingt, unter Einhaltung der demokratischen Spielregeln Mehrheiten zu organisieren und Wahlen zu gewinnen – auch wenn es sich dabei um die Muslimbrüder oder andere islamistische Parteien handelt.

Hinzu kommt, dass eine Boykottpolitik nur allzu oft ins Leere läuft, wie das Beispiel der im Gaza-Streifen regierenden Hamas zeigt. Denn auch der fortgesetzte westliche Boykott konnte die Hamas nicht dazu bewegen, die 2006 vom Nahost-Quartett aufgestellten Kriterien, darunter die Anerkennung des Existenzrecht Israels sowie aller bereits geschlossenen Verträge und der Verzicht auf Terror und Gewalt, zu erfüllen.

Eines hat der arabische Frühling sehr deutlich gemacht: westliche Politik in Nordafrika und im Nahen Osten muss die öffentliche Meinung der Länder mit einbeziehen. Fragt sich nur, wer oder was das ist. Diese mit den islamistischen Parteien gleichzusetzen, wäre nicht nur eine grobe Vereinfachung, sondern falsch. Denn die Massendemonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz, in Tunis und in anderen arabischen Städten, die längst zum Symbol für das Aufbegehren der “arabischen Straße” gegen den erdrückenden Status-quo avanciert sind, gingen nicht von den islamistischen Parteien, sondern von einer mit ihren Machthabern unzufriedenen Jugend aus.

Richtig ist gleichwohl, dass die Muslimbrüder in Ägypten und deren tunesischer Zweig, die En-Nahda-Bewegung, sehr schnell das Potenzial der Proteste erkannt und für sich genutzt haben. Heute zählen sie zu den Gewinnern des arabischen Frühlings. Von den anciens régimes über Jahrzehnte unterdrückt und verfolgt, stehen sie nun in den Startlöchern, um in die Parlamente in Kairo und Tunis einzuziehen.

Und anders als die säkularen Parteien, die sich erst allmählich formieren und um die Wählergunst buhlen müssen, verfügen die islamistischen Parteien über straffe, gut organisierte Strukturen und weit verzweigte Netzwerke – zwei Trümpfe, die sie in den bevorstehenden Wahlkämpfen mit Sicherheit ausspielen werden. Gewiss: die islamistischen Parteien sind nicht identisch mit der öffentlichen Meinung dieser Länder, aber sie sind in der Lage, ein Gutteil davon für ihre Ziele zu mobilisieren.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: wer politisch relevante Akteure einbinden will, der kommt um einen Dialog mit den islamistischen Parteien nicht herum. Westliche Regierungen sollten ihre Berührungsängste, denen nicht selten ideologisch aufgeladene Feindbilder zugrunde liegen, überwinden. Was nach naivem Gutmenschentum und weltfremdem Dialog-Gesäusel klingt, ist ein Gebot kluger Realpolitik, die den eigenen Einfluss zu wahren sucht.

Westliche Regierungen müssen im Dialog mit islamistischen Parteien klare Positionen und Ziele definieren, aber sie sollten ihre Gesprächsbereitschaft nicht an Bedingungen knüpfen. Sonst enden die Gespräche in einer Sackgasse, bevor sie begonnen haben. Ist es erst soweit gekommen, dann tendieren die Einflussmöglichkeiten des Westens gegen Null. Damit ist niemandem gedient – am allerwenigsten Israel. Denn wer Israel wirklich helfen will, der sollte sich bei allen relevanten Akteuren – und dazu gehören nun einmal auch die islamistischen Parteien – für eine langfristige Sicherung des Friedens in der Region einsetzen.

Dass dieser Dialog angesichts unterschiedlicher, zum Teil völlig gegensätzlicher Normen und Werte alles andere als einfach ist, steht außer Frage. Auch innenpolitisch birgt er Risiken, denn Gespräche mit islamistischen Parteien sind überaus umstritten. Es ist in vielerlei Hinsicht bequemer, sich mit den smarten, oft im Westen ausgebildeten Vertretern säkularer Parteien auseinanderzusetzen, die in makellosem Englisch über die Notwendigkeit politischer Reformen parlieren und die Gooß governance-Rhetorik westlicher Berater bis zur Perfektion beherrschen. Einziger Haken daran: sie repräsentieren oft nur eine verschwindend geringe, elitäre Minderheit in ihren Gesellschaften.

Für die westliche Politik könnten die ägyptischen Parlamentswahlen im September zu einem echten Lackmustest werden. Spätestens dann wird sich erneut die nahöstliche Gretchen-Frage stellen: “Wie haltet Ihr’s mit den Islamiten?” Immerhin werden der “Freedom and Justice Party”, der von den Muslimbrüdern im April 2011 gegründeten Partei, gute Chancen auf bis zu 30 Prozent der Wählerstimmen eingeräumt. Hoffen wir, dass der Westen seine Lektion aus dem Hamas-Wahlsieg von 2006 gelernt hat.

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