Washington Isn’t Greece … Yet

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Washington liegt noch nicht an der Ägäis

JOSEF URSCHITZ (Die Presse)

15.07.2011

Die USA werden nicht so schnell pleitegehen. Aber sie haben ein ernstes Schuldenproblem, und ihre Rolle als globale Wirtschaftslokomotive ist wohl bald Geschichte.

Zuerst die gute Nachricht: Die USA werden nicht pleitegehen. Zumindest nicht so bald. So bescheuert, das Land mit der Weltreservewährung aus rein wahltaktischen Gründen in die technische Zahlungsunfähigkeit zu schicken und damit eine gewaltige Weltrezession auszulösen, wird in Washington ja hoffentlich niemand sein. Wenngleich man bei ideologisch motivierten Politikern nie so genau weiß.

Und jetzt die schlechte: Selbst wenn sich Demokraten und Republikaner schnell auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze einigen, hat das Land ein ernstes Problem: Die USA haben ihre Finanzen nicht mehr im Griff. Sie sind schon jetzt deutlich höher verschuldet als die Eurozone als Ganzes, und ihre Verschuldung steigt annähernd so schnell wie die griechische. Die Nation, die im Wesentlichen mit schuldenfinanziertem Konsum die Weltwirtschaft antreibt, wird also so oder so gewaltig auf die Ausgabenbremse steigen müssen. Ganz unabhängig davon, wie das Gegackere um das Schuldenlimit ausgehen wird.

Ein sicheres Zeichen dafür ist die schnell wachsende Nervosität der Großgläubiger: Die Chinesen haben vor ein paar Monaten ihre Ratingagentur Dagong mit einem „Downgrading“ der US-Kreditwürdigkeit vorausgeschickt. Jetzt haben sie ein schärferes Kaliber gewählt: Ein chinesischer Regierungsökonom sagte, sein Land beobachte jetzt sehr genau, ob die USA Maßnahmen in die Wege leiten würden, die „China schaden könnten“. Eine ziemlich ungewöhnliche, sozusagen halb offizielle Einmischung in die US-Finanzpolitik.

Die Chinesen haben aber auch allen Grund zur Sorge: Sie sitzen auf Dollarreserven von deutlich über 1000 Milliarden. Sie sind der größte Auslandsgläubiger der USA – und waren so der Hauptfinanzier der Defizitorgien der Administrationen Bush jr. und Obama, die es geschafft haben, den Schuldenstand der USA in knapp zehn Jahren mehr als zu verdoppeln.

Womit wir auch schon bei einem wesentlichen Punkt sind: Der jetzige ideologisch unterfütterte Streit zwischen Republikanern und Demokraten, der in letzter Konsequenz die Welt in eine wirklich schwere Krise stürzen kann, mag wahltaktisch verständlich sein, hat aber sachlich keine Basis. Schuldenmachen und Sparen sind in Amerika historisch nicht parteipolitisch zuordenbar. Der konservative Säulenheilige Ronald Reagan beispielsweise war der unbestrittene Nachkriegsschuldenkaiser: In seiner Amtszeit hat sich die Staatsschuld von 1000 auf 2850 Milliarden Dollar nahezu verdreifacht, das durchschnittliche Schuldenwachstum von 13 Prozent pro Jahr ist bisher unerreicht. Der Demokrat Bill Clinton war in seiner Amtszeit dagegen mit durchschnittlich 3,44 Prozent Wachstum der sparsamste Präsident seit 1970. Reagan könnte aber locker vom amtierenden demokratischen Präsidenten Obama, der in seinem ersten Amtsjahr, 2009, einen Schuldenzuwachs von sagenhaften 18Prozent geschafft hat, vom Stockerl gestoßen werden.

Es stünde den politischen Top Guns in Washington also nicht schlecht an, gemeinsam einen Weg aus der gemeinsam verursachten Schuldenfalle zu suchen. Derzeit droht dem Land nur das „technische K.o.“: Die USA sind nicht zahlungsunfähig, weil ihnen niemand mehr Geld leiht. Sondern, weil ihnen der geltende gesetzliche Schuldendeckel verbietet, noch mehr Schulden zu machen. Das ist ein entscheidender Unterschied etwa zu Griechenland. Der zweite: Als autonomes Währungsgebiet können sie natürlich Geld schöpfen und damit Schulden bezahlen (was freilich einer Entschuldung über Inflation gleichkäme).

Aber der Weg in die tatsächliche Pleite ist bei den derzeitigen Defizitraten kurz: Schon droht Moody’s mit einer Herabstufung, was die Schuldbedienung noch einmal verteuern und schwieriger machen würde. Wir sind also so oder so an einer Zeitenwende angelangt: Die Periode, in der kreditfinanzierter US-Konsum die Weltwirtschaft angetrieben hat, neigt sich dem Ende zu. Ob das geordnet oder in einem vermögenvernichtenden globalen Knall erfolgt– das haben jetzt einzig und allein die Verhandler in Washington in der Hand. (“Die Presse”, Print-Ausgabe,) 15.07.2011

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