Im rechten Nirwana
von Christian Wernicke
29.07.2011
Unter dem Strich steht der Sieger im Streit um die US-Schuldenobergrenze längst fest: Amerikas Rechte diktiert, Präsident Obama und die Nation müssen folgen. Den Preis werden vor allem die Armen und Geringverdiener zahlen müssen, den oberen Ständen hingegen mag niemand in Washington etwas abverlangen.
Noch ist nichts gelöst, noch droht Amerika die Pleite. Das wäre, jedenfalls nach der jüngsten Prophezeiung des Präsidenten, ein Szenario vergleichbar mit dem Einfall aller biblischen Plagen auf Erden: “Ein Harmagedon” drohe, so hat Barack Obama gewarnt, falls es dem Kongress nicht gelinge, per Gesetz den Schuldendeckel zu heben.
Das gesamte Wochenende, Tag und Nacht, werden deshalb Senat und Repräsentantenhaus, Demokraten und Republikaner sich aneinander abarbeiten müssen, um (vielleicht) bis Dienstag irgendeinen Spar-Kompromiss zusammenzustückeln. Doch unterm Strich steht der Sieger im großen Duell um Etatplan und Staatswesen längst fest: Amerikas Rechte diktiert, Präsidenten und Nation müssen folgen.
Denn den Preis dieses Sparpakets werden vor allem Amerikas Arme und Geringverdiener berappen müssen – ihnen werden nun die Förderprogramme gestrichen. Den oberen Ständen hingegen mag niemand in Washington etwas abverlangen: Steuererhöhungen – oder auch nur die Streichung absurder Fiskalrabatte für die Ölindustrie oder reiche Privatjet-Besitzer – gelten auch unter Demokraten als Tabu.
Es triumphiert eine Weltanschauung, die den Staat als Übel deutet. Washingtons Einfluss soll schrumpfen – weshalb jene republikanischen Abgeordneten, die vorigen Herbst mit Hilfe der anti-etatistischen Tea-Party-Bewegung in den Kongress gelangten, nun so hemmungs- wie ahnungslos mit dem Gedanken jonglieren, sich dem Kompromiss zu verweigern und den Staat für eine Weile in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben.
Dieser Konflikt zerreißt die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus. Das Establishment der Grand Old Party begreift sehr wohl, was da auf dem Spiel steht: Ein Sparpaket von 2,5, ja vielleicht sogar 2,7 Billionen Dollar wäre die größte Selbstbeschneidung Washingtons in der US-Geschichte.
Den Blick für die Realität verloren
Zudem wäre die Partei in den Augen vieler unabhängiger Wähler blamiert, wenn ihr rechter Rand sich nun einem Kompromiss verweigert, den die eigene Führung ausgeheckt hat. Eine Rebellion des Tea-Party-Lagers in den republikanischen Reihen würde nur dem Gegner nützen – dem demokratischen, also mutmaßlich linken Präsidenten Obama.
Und doch kann es passieren, dass solch blinde Wut nächste Woche die Aktienbörsen in aller Welt erschüttert. Denn jene zwei, drei Dutzend Republikaner, die da mit dem Feuer spielen, haben längst den Blick für die Realität verloren. Ihre Wirklichkeit sieht anders aus: Sie alle entstammen (meist ländlichen und sehr weißen) Milieus, in denen kürzlich noch jeder zweite Anhänger glaubte, Barack Obama sei ein verkappter Muslim und mangels Geburtsnachweis eh ein illegitimer Präsident.
Im rechten Mus-Topf wollen sie so gern zurück nach 1773, in die Gründerjahre Amerikas. Dass Amerikas Verfassungsväter damals ein Regierungssystem bauten, das nach dem Konsens geradezu schreit, hat man im rechten Nirwana verdrängt.
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