Der Schuldenstreit kennt keine Sieger
Von Martin Klingst
1.8.2011
Endlich eine Einigung im US-Schuldenstreit – doch politisch profitiert hat niemand. Die Kürzungen treffen die Klientel beider Parteien. Von M. Klingst, Washington
Am Sonntagabend Punkt 20.40 Uhr verkündete US-Präsident Barack Obama erleichtert: Das Weiße Haus und die Führung der Demokraten und Republikaner haben sich auf einen Plan zur Anhebung der Schuldengrenze geeinigt. In groben Umrissen besteht der Kompromiss aus zwei Schritten.
Um ihre Rechnungen zu bezahlen, müssen die Vereinigten Staaten in den nächsten sechs Monaten eine Billion Dollar an weiteren Schulden aufnehmen, zusätzlich zu den bislang rund 14 Billionen Dollar. Um diesen Berg nicht weiter anwachsen zu lassen, sondern auch abzubauen, werden darum in einem ersten Schritt Staatsausgaben in der Höhe dieser einen Billion Dollar gestrichen – und zwar über einen Zeitraum von zehn Jahren und quer durch alle Bereich: von den Sozialausgaben bis zum Verteidigungsetat.
Der erste Schritt war nicht sonderlich umstritten. Die Republikaner aber wollten an dieser Stelle Stopp sagen und zunächst keiner weiteren Verschuldung zustimmen. Denn insgesamt fehlen Amerika 2,7 Billionen Dollar, um alle offenen Rechnungen bis 2013 zu begleichen, also etwa 1,7 Billionen Dollar mehr, als die Republikaner zustehen wollten. Spätestens in einem Jahr also hätte Obama wieder um die Anhebung der Schuldengrenze betteln müssen – und das mitten im Wahlkampf.
Die Bevölkerung drängte auf eine Einigung
Die Verhandlungen steckten deshalb in der Sackgasse. Aber die Wähler setzten ihre Abgeordneten und Senatoren unter Druck. Sie wollten unbedingt eine Zahlungsunfähigkeit ihres Landes abwenden. Die Telefone im Kongress liefen heiß. Die Mehrheit der Amerikaner wollte eine Einigung.
Also setzten sich Verhandlungsführer über das Wochenende erneut zusammen und erarbeiteten einen zweiten Kürzungsschritt. Er ist der wichtigste: Bis Ende November muss eine von Republikanern und Demokraten paritätisch besetzte Parlamentskommission Vorschläge für weitere Kürzungen ausarbeiten, und zwar in Höhe von etwa 1,7 Billionen Dollar. Können sich die Mitglieder bis dahin nicht einigen, werden automatisch Haushaltsausgaben in dieser Höhe gestrichen – und zwar ohne weitere Debatte.
Kürzungen quer durch alle Bereiche
Diese Kürzungen hat man jetzt bereits festgelegt. Sie sollen durch alle Bereiche gehen, aber werden für beide Parteien und ihre jeweiligen Wähler erheblich schmerzlicher sein als der erste Schritt. Weitere Teile des Verteidigungsbudgets sowie die Wohlfahrts- und Gesundheitsprogramme werden dann zusammengestrichen.
Es gibt eigentlich noch einen dritten Schritt, der mit dem zweiten verbunden werden soll: Der Kongress soll einen Verfassungszusatz beschließen, der in Zukunft einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorschreibt. Aber schon jetzt ist klar, dass es dafür weder im Repräsentantenhaus noch im Senat die notwendige Zweidrittelmehrheit geben wird. Dieser Vorschlag bleibt eine Farce.
Wer hat nun eigentlich gesiegt? Die Republikaner, die nur Kürzungen wollten, aber um keinen Preis eine Steuererhöhung? Oder der Präsident und seine Demokraten, die Streichungen im Haushalt zumindest zum Teil auch durch höhere Steuereinnahmen decken wollten, zum Beispiel durch Eliminierung von Steuergeschenken und Steuernachlässen etwa für Ölkonzerne oder für wohlhabende Amerikaner, die mehr als 250.000 Dollar im Jahr verdienen?
Nicht mehr als eine fauler Kompromiss
Beide Parteien haben verloren. Keine konnte sich durchsetzen. Im Grunde ist es ein ziemlich fauler Kompromiss, denn der alte Streit wird fortgesetzt, mit ungewissem Ausgang. Aber mehr als dieser faule Kompromiss war derzeit nicht drin, sonst wären die Vereinigten Staaten teilweise zahlungsunfähig geworden und hätten die Weltwirtschaft mit in den Strudel gerissen.
Die Schwierigkeit der Einigung liegt vor allem im zweiten Schritt. Woher nimmt man die 1,7 Billionen Dollar? Bald schon werden sich die beiden Verhandlungsgruppen wieder unversöhnlich gegenüberstehen. Die Republikaner werden sagen: Ausgaben streichen, streichen und nochmals streichen! Sie wollen vor allem die staatlichen Wohlfahrtsprogramme schrumpfen lassen.
Die Demokraten werden unverzüglich antworten: Nicht nur streichen, sondern die reichen Konzerne und betuchten Bürger zur Kasse bitten! Sie wollen die Wohlfahrtsprogramme reformieren, aber nicht eliminieren.
Um beide Parteien bis November zum Kompromiss zu zwingen, hat man für den Fall des Scheiterns bereits die automatischen Haushaltskürzungen beschlossen. Dahinter steht die Hoffnung, dass diese Kürzungen für Republikaner wie Demokraten so schmerzhaft wären und so unverständlich für ihre Wähler, dass beiden nichts anderes übrig bleibt als sich zu einigen: auf Streichungen – und höhere Steuereinnahmen.
Nach allem, was man in den vergangenen Wochen und Monaten auf den Fluren des Kongresses erlebt hat, kann man im Augenblick dazu nur sagen: Wer’s glaubt, wird selig.
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