Ein Lob der Tea Party – aber auch Schande über sie
Von Ansgar Graw
02.08.2011
Für viele sind sie die Bad Guys des Schuldenstreits. Doch ausgerechnet die Tea-Party-Republikaner haben den bis vor kurzem in der Defizitfrage passiven Obama wachgerüttelt.
Bitte nicht vergessen: Die USA haben eine Schuldenkrise. Die Schuldenkrise ist real, und sie verschwindet nicht, nur weil sich der Präsident und die Führer beider Parteien im Kongress nach erbittertem Streit geeinigt haben, wie mit ihr umzugehen sei.
Wir unterstellen, dass der am Sonntagabend ausgehandelte Kompromiss bei den Abstimmungen im Senat und, wo es schwieriger wird, im Repräsentantenhaus die nötigen Stimmen bekommt. Trotzdem würde der Schuldenberg der USA in den kommenden Jahren weiter wachsen. Die Ausgaben bleiben höher als die Einnahmen. Aber immerhin: Das Defizit rast nicht mehr zu neuen Gipfeln, es schlendert künftig nur noch bergauf.
Bis zu zweieinhalb Billionen Dollar werden aus den Etats der kommenden Dekade gestrichen. Das bedeute den „niedrigsten Grad jährlicher Inlandsausgaben seit der Präsidentschaft von Dwight Eisenhower“ in den 50-er Jahren, lobt Barack Obama. Doch dieser stolze Vergleich ist gewagt.
Eisenhower senkte die Staatsverschuldung von gut 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die er beim Amtsantritt vorfand, in der ersten Legislatur auf 60,4 und in der zweiten gar auf 55,2 Prozent – trotz des Korea-Krieges, den er zu Beginn seiner Präsidentschaft beenden musste. Aktuell beziffert der Internationale Währungsfonds die öffentliche Verschuldung der USA auf 98,6 Prozent des BIP.
Zur Wahrheit dieser Tage gehört auch, dass Obama und der republikanische Sprecher des „Houses“, John Boehner, vorletzte Woche kurz vor einem ehrgeizigeren und ausgewogeneren Kompromiss standen, der das Defizit um 3,5 Billionen Dollar reduziert hätte.
Bei aller Erleichterung über die jetzige Einigung bleibt darum festzuhalten: Mehr wäre nötig gewesen, und mehr war möglich. Scharfmacher auf beiden Seiten verhinderten das: Linke Demokraten, die auch ineffiziente Verfettungen der Sozialsysteme verteidigten, und vor allem Tea-Party-bewegte Republikaner mit ihrem Widerstand gegen jede Form zusätzlicher Steuereinnahmen.
Eckpunkte des Kompromisses im US-Schuldenstreit
Im US-Schuldenstreit haben sich Demokraten und Republikaner nach wochenlangem Ringen auf einen Kompromiss verständigt. Präsident Barack Obama rief die beiden Kammern im Kongress auf, dem Vorschlag zuzustimmen.
Andererseits: Es waren, horribile dictu, die Tea-Party-Republikaner, die den bis vor wenigen Monaten in der Defizitfrage passiven Obama überhaupt wachrüttelten. Noch zum Februar arbeitete der Präsident einen Budgetplan aus, der für die kommende Dekade gerade mal eine gute Billion Dollar an Kürzungen vorsah. Der Schuldenberg wäre bei einer derart unambitionierten Haushälterei weiter gewachsen. 2021 hätten die Schulden bei gleichbleibenden Ausgaben und Steuersätzen 101 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgemacht, errechnete das Congressional Budget Office, die Prüfbehörde des Kongresses.
Ein Lob also der Tea-Party-Bewegung – und zugleich Schande über sie. Die Protestbewegung gegen „big Government“ zwang Washington zwar zur Abkehr von der verheerenden Routine, immer weitere Schulden aufzutürmen. Aber sie blockierte durch ihren ideologischen Feldzug gegen jede Form von Staatlichkeit den nötigen größeren Wurf.
Das kategorische Nein zu Steuererhöhungen, gar zum Stopfen von Steuerschlupflöchern führt zu Unwuchten. Mittelklasse und sozial Schwache werden stöhnen, wenn im öffentlichen Raum weniger Gelder verteilt, Subventionen gekürzt und Regierungsangestellte entlassen werden. Da wäre es nicht nur gerecht, sondern auch politisch geboten, Bezieher von Haushaltseinkommen über 250.000 Dollar an den Lasten zu beteiligen und unsinnige Steuervergünstigungen bestimmter Branchen zu beenden.
Immerhin: Der aktuelle Kompromiss hat einen „Trigger“, einen semiautomatischen Auslöser für Steuererhöhungen eingebaut, der wirksam wird, wenn sich Republikaner und Demokraten nicht mit Hilfe einer Kommission auf Kürzungen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar einigen. Und nach dem Vorspiel der vergangenen Wochen spricht wenig spricht dafür, dass eine solche Einigung möglich ist.
Der zweite gravierende Fehler der Republikaner, oft ganz unabhängig von der Tea Party, bestand darin, keine ernsthafte Auseinandersetzung über den Etat des Pentagon zuzulassen. Für eine Supermacht sind hohe Verteidigungsaufwendungen existenziell. Aber die Strukturen in diesem Sektor sind in Jahrzehnten verkrustet. Auf vielen Einzelposten, auf denen „nationale Sicherheit“ draufsteht, sind „regionale Arbeitsplatzmaßnahmen“ drin. Die Abgeordneten müssen ehrlich werden in der Zähmung dieses Komplexes und Unverzichtbares trennen vom Bequemen.
Republikaner gehen als Sieger vom Platz
Obama kämpfte nach seinem anfänglichen Desinteresse an einer nachhaltigen Haushaltssanierung zuletzt überzeugend für einen „ausbalancierten“ Ansatz. Er wollte im Verhältnis vier zu eins Ausgaben kürzen und Steuereinahmen erhöhen. Er wollte die Sozialsysteme ebenso zurückstutzen wie den Verteidigungsetat. Auch wenn der Präsident am Ende in vielen Punkten den Republikanern nachgeben musste, dürfte er unabhängige Wähler beeindruckt haben. Obama hat auch darum durchaus gute Chancen, im November 2012 wiedergewählt zu werden.
Obama verkündet Kompromiss im Schuldenstreit
Als Sieger vom Platz aber gehen die Republikaner, die mehr herausholten als die Demokraten. Sie wussten sich, unter oft rücksichtsloser Ausnutzung ihres Erpressungspotentials, als Anti-Steuer-Partei und als Hüter finanzpolitischer Stabilität zu profilieren. Nun haben sie Aussichten, 2012 auch die Mehrheit im Senat zu erobern, nachdem sie 2010 das Repräsentantenhaus übernahmen.
Wohl des Staates über Vorteil der Partei
Ein demokratischer Präsident und ein republikanischer Kongress: Diese Kombination muss nicht zur wechselseitigen Blockade führen, sondern kann Effizienz bedeuten, wie wir seit Bill Clinton wissen. Ein kluger, wägender Obama in seiner zweiten und damit letzten Amtszeit und ein zur Konfrontation bereiter, aber in sich einiger Kongress könnten die jetzt begonnenen Reformen fortsetzen.
Die Republikaner haben mehr Autorität als die Demokraten, den Verteidigungshaushalt in gebotener Form abzuspecken, und Obama wäre in der Lage, die Sozialsysteme zu reformieren, damit sie nicht mehr formal Anspruchsberechtigte begünstigen, sondern Bedürftigen helfen.
Das kann das große Projekt für Obama 2.0 werden. Voraussetzung allerdings ist, dass konstruktive Republikaner das Wohl des Staates endlich wieder über den Vorteil ihrer Partei stellen. Ihre Abgeordneten müssten so tapfer werden, ideologische Verbohrtheiten der Tea Party als Zumutung zurückzuweisen. Am Ende dürften Wähler einer mit der Vernunft ausgesöhnten Politik den Vorzug geben vor realitätsfernen Phrasen.
Denn nochmals zur Erinnerung: Die USA haben eine Schuldenkrise.
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