Google+: Who's Interested in "Real" Names

<--

GOOGLE+

Wen interessieren schon “echte”

Namen?

Google+ will keine Pseudonyme gestatten. Das ist unfair und

unternehmerisch falsch, findet K. Biermann. Selbst gewählte

Begriffe sind viel besser vernetzt als Klarnamen.

Während des Studiums hatte ich einen Freund, Richard. Wir spielten Billard oder Schach

oder redeten über Bücher. Eines Tages rief ich bei ihm zu Hause an: “Hallo, hier ist Kai,

ich würde gern Richard sprechen.” “Wen wollen Sie sprechen?” Die Stimme klang wie die

einer Mutter, ich improvisierte: “Äh, ihren Sohn?” “Ach, Holger, kleinen Moment, ich hol’

ihn.”

Holger mochte seinen Namen nicht, Richard war sein Pseudonym. Google wünscht solche

Pseudonyme nicht in seinem Netzwerk Google+ und droht, jeden Account zu löschen, der

unter falschem Namen angelegt wird.

Mich hat es damals nicht gestört, nicht bevor ich von Holger wusste und auch nicht danach.

Mich interessierte der Mensch, und der wurde nicht durch seinen Namen definiert. Als

ich später anfing, mich in Online-Games herumzutreiben und meine Nächte mit Leuten

zu verbringen, die sich “Hastator”, “Neltakh” oder “Mabuse” nannten, hatte ich damit

auch keine Schwierigkeiten. Obwohl mir selbstverständlich klar war, dass das nicht ihre

Geburtsnamen sind.

Unsere Welt ist voller Pseudonyme. Maria Callas, Coco Chanel, Marilyn Monroe – die

Liste ist endlos . Auch dass Lady Gaga nicht wirklich so heißt, ist jedem klar. Bei Päpsten

gehört die Umrubrizierung zum Programm und Könige begnügen sich sogar damit, ein

nummerierter Vorname zu sein.

Pseudonyme sind ein Versuch, sich zu schützen . Sie trennen das öffentliche vom privaten

Leben; deshalb legen sich bekannte Persönlichkeiten welche zu. Ebenso wie viele

Menschen, die sich im Netz bewegen.

Dank eines Pseudonyms kann ich viele Kritiker, Bewunderer, Fans und Gegner haben und

trotzdem unbeschwert in meiner Wohnung leben, ohne fürchten zu müssen, dass plötzlich

300 Leute vor der Tür stehen und mir die Meinung sagen wollen. Ich kann Teddybären

sammeln und in Teddybären-Sammlerkreisen als Fachmann gelten, ohne Sorge, dass meine

Kollegen beim Kommando Spezialkräfte über mich lachen.

Auch Google ist diese Schutzfunktion nicht fremd. Noch im Februar 2011 schrieb Alma

Whitten, die oberste Datenschützerin Googles, in einem offiziellen Blogbeitrag , ihr

Unternehmen unterstütze sowohl anonyme als auch pseudonyme Nutzung “unserer

Dienste”. Jeder habe schließlich im Netz die Freiheit, der zu sein, der er sein wolle. Wichtig

sei vor allem die Identität, schrieb Whitten.

Diese jahrhundertealte Kulturtechnik der selbst gewählten Identität soll nun ein Problem

sein? Das ist nicht nur unfair dem Internet-Normalnutzer gegenüber, wird ihm damit doch

verwehrt, was für Künstler selbstverständlich ist. Es ist auch unternehmerisch ein Fehler.

Namen sollen uns wiedererkennbar machen, unverwechselbar. Selbstverständlich gibt es

Menschen, die in öffentlichen Foren und Debatten ihren Geburtsnamen nutzen und diesen

zur Marke ausgebaut haben. Aber Meiers sind nicht allzu viele darunter.

Dagegen erkenne ich viele Menschen, denen ich im Internet begegne, nur an ihrem

Netznamen. Wenn mir dann plötzlich eine Nicole gegenüber steht, obwohl sie doch für

mich eigentlich “antischokke” heißt, kann ich mit ihrem echten Namen erst einmal nichts

anfangen.

Google+ will Geld verdienen, indem das Netzwerk möglichst genau beurteilbare

werberelevante Profile sammelt, denen es dann personalisierte Werbung präsentieren kann.

Was aber nützt dem Unternehmen dabei die Information, dass ein Profil Michael Meier

gehört, wenn diesen Meier niemand unter seinem Klarnamen kennt, und er mit diesem

Namen also kaum vernetzt ist? Eigentlich müsste es in Googles Interesse liegen, dass die

Nutzer sich mit ihren Pseudonymen anmelden. Denn mit ihren selbst gewählten Namen

hinterlassen sie viel mehr Daten im Netz, die Google auswerten und nutzen könnte.

Nebenbei: Pseudonyme sind oft auch unverwechselbarer als unsere Geburtsnamen, selbst

solche wie das gern zitierte “Biene156”. Immerhin prüft auf dem Standesamt niemand, ob

es schon einen Michael Meier gibt und sagt dann: “Der Name ist nicht mehr verfügbar, bitte

geben Sie einen anderen ein.”

About this publication