Der scheinheilige Messias
Von Thomas Schmoll
28.09.2011
Amerika hat der Welt eine brutale Finanzkrise beschert, Schulden ohne Ende, sein “AAA” eingebüßt und seine Parteien liegen im politischen Dauer-Clinch. Das hindert Barack Obama nicht daran, die Europäer zum Welt-Schreckgespenst zu erklären. Das zeugt von vielem – nicht aber von Größe. von Thomas Schmoll
Zugegeben, was sich die Europäer seit Monaten leisten im Bemühen, ihre Währungskrise zu meistern, hat nur einen Namen verdient: Dilettantismus. Da tummeln sich zuhauf durcheinander gackernde Laiendarsteller auf der Bühne und schreiben so gut wie jeden Tag einen neuen Akt der griechischen Tragödie. Die Folge sind Ausschläge an den Aktienmärkten abwechselnd in Richtung Himmel und Hölle. Politik, die Vertrauen schafft, und sauberes nachvollziehbares Krisenmanagement sehen anders aus.
Natürlich darf das kritisiert werden. Und natürlich auch von Barack Obama. Aber, bitte schön, nicht so plump und scheinheilig wie jüngst. “Sie bemühen sich, verantwortungsvoll zu handeln”, bescheinigt der US-Präsident seinen transatlantischen Partnern gönnerhaft. “Aber diese Aktionen waren nicht ganz so schnell, wie es nötig gewesen wäre. Sie haben sich nie wirklich von der Krise 2007 erholt und haben nie umfassend auf die Herausforderungen reagiert, denen ihr Bankensystem ausgesetzt war.” Zusammen mit der Situation in Griechenland habe dies eine Finanzkrise ausgelöst, die “der Welt Angst einjagt”.
Abgesehen einmal davon, dass das Lehman-Desaster, das Obama meinen dürfte, 2008 und nicht 2007 war, stimmt vieles von dem, was er moniert. Doch dass sich gerade ein Politiker, dessen Land der Welt mit seiner Casino-Mentalität die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten eingebrockt und selbst gerade das “AAA” verloren hat, zum oberschlauen Zeigefingererheber aufschwingt, mutet befremdlich an. Der mächtigste Mensch der westlichen Welt lässt sich ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl von der erzkonservativen “Tea Party” treiben und verfällt in ärgerlichen Populismus.
Ausgerechnet Obama klagt über Zögern und langwierige Diskussionen bei der Lösung einer Krise. Er hätte ja alles Recht dazu, zumindest ein moralisches, wenn die US-Politik ein glänzendes Beispiel dafür wäre, wie man – zum Schutz vor Wiederholungen – konsequent Lehren aus dem Lehman-Desaster zieht, tief greifende Probleme in Windeseile im breiten politischen Konsens löst und dann auch noch der Konjunktur Flügel verleiht. Doch das ist sie nicht.
Die Reformen zur Eindämmung künftiger Risiken in der Bankenwelt fallen auch in den USA längst nicht so scharf aus wie erhofft. Für die gestrauchelten Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac muss erst noch eine nachhaltige Lösung gefunden werden, damit auf das Multimilliardengrab endlich der Deckel genagelt werden kann. Die US-Notenbank kaufte von Dezember 2008 bis Juni 2011 für 2300 Mrd. Dollar US-Staatsanleihen, um die Wirtschaft zu stützen – ohne durchschlagenden Erfolg.
Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer Schuldenstaatskrise. Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt die Verschuldung noch ein paar Prozentpunkte über der der gesamten Euro-Zone. Allen Anschein nach sind die Amerikaner selbst durch den Warnschuss der Ratingagentur Standard & Poor’s nicht wach geworden, die den USA die Spitzenbonitätsnote aberkannt hat. Gar keine Frage, das Durcheinander der Europäer ist gewaltig, die erzielten Kompromisse und deren Nachhaltigkeit bieten jede Menge Angriffsfläche für Kritik. Und die Amerikaner? Regierung und Opposition verharren in einem unerträglichen Endlosstreit um Einsparungen und Belastungen für Reiche.
Fingerzeig auf Europa
Den kommenden Wahlkampf im Sinn, führen sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit einen bizarren Kleinkrieg vor, der einen das Fürchten lehrt. Von einer in der Verfassung verankerten Schuldenbremse nach deutschem Vorbild kann keine Rede sein. Davon ist das Land des scheinheiligen Messias’ Obama Lichtjahre entfernt.
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S&P hatte den Streithähnen in brutaler Offenheit klar gemacht, was sie ihnen zutraut: wenig bis gar nichts. “Die Herabstufung spiegelt unsere Meinung wider, dass der Plan zur Haushaltskonsolidierung, den der Kongress und die Regierung kürzlich vereinbart haben, nicht ausreicht, um die mittelfristige Dynamik bei den Staatsschulden zu stabilisieren”, begründete die Ratingagentur ihre Zweifel, dass die US-Politik ernsthaft gewillt ist, den Schuldenberg abzutragen oder wenigstens nicht mehr wachsen zu lassen.
Obamas Agieren ist so leicht zu durchschauen wie der urplötzliche Atomausstieg von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer schwarz-gelben Koalition. Der US-Präsident hat berechtigte Angst vor einer neuen Rezession und versucht, den Europäern den Schwarzen Peter zuzuspielen, damit die Misere nicht zum Hindernis für seine zweite Amtszeit wird. So lässt sich auch sein Konjunkturprogramm über 447 Mrd. Dollar besser durchsetzen und “verkaufen”.
Als S&P den USA das Triple-A wegnahm, wagte es kein europäischer Spitzenpolitiker – und das völlig zu recht -, mit dem Finger auf Obama zu zeigen. Denn Europa ist momentan dazu wahrlich nicht in der Lage – auch nicht gegen die Verschuldeten Staaten von Amerika. Es ist schade, dass Obama nicht die Größe hat und seine Partner am anderen Ende des Atlantiks mit Schuldzuweisungen und Kritik verschont. In Europa sind Dilettanten am Werk. Aber sie wissen wenigstens, dass sie im Glashaus sitzen.
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