The Unapproachable President

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Der unnahbare Präsident

Menschen hält er auf Distanz: Barack Obama ist ein politischer Einzelgänger.

Das Leben auf der obersten Etage folgt bekanntlich eigenen Regeln, und politische Macht bedeutet nicht selten Isolierung und Vereinsamung. Amerikanische Präsidenten, ob Thomas Jefferson, Abraham Lincoln oder Jimmy Carter, wussten und wissen davon ein Lied zu singen. Manchen von ihnen wie Gerald Ford gelang es, die Abschottung mithilfe eines fürsorglichen Freundeskreises oder einer lebhaften Familie zu überwinden. Andere wie Bill Clinton waren vom Naturell her in der Lage, viele Barrieren zu durchbrechen und problemlos den Puls des Volkes zu fühlen.

Wieder andere versanken in der Isolierung des Weissen Hauses; in einsamen Nächten unterhielt sich Richard Nixon bekannterweise mit den Porträts seiner Vorgänger. Und um Barack Obama ist es ebenfalls einsam geworden. Wahrscheinlich will es dieser Präsident so: Er ist ein Einzelgänger. Sein Lebenslauf lässt erahnen, dass er sich nirgendwo wirklich aufgehalten und überall ein wenig gefremdelt hat.

Er mag den Diskurs

So bleibt Obama gegen Ende des dritten Jahres seiner Präsidentschaft ein Rätsel – ein Politiker, der den anspruchsvollen Diskurs und die tiefsinnige Diskussion mag, nicht aber das Brimborium des Politischen. Seine Beschäftigung mit filigranen Inhalten und Phänomenen sei «eine Krankheit», vertraute Obama dem Autor Ron Suskind an. Über die Kostendämpfung im Gesundheitssektor nachzudenken, liebt dieser Präsident; den Wählern die Hände zu schütteln und ihre Babys zu küssen, ist ihm indes ein Gräuel. Menschen sind Obama am genehmsten, wenn er auf Distanz zu ihnen gehen kann. «Es ist, als ob er die Leute nicht mag», sagt der Unternehmer und Verleger Mort Zuckerman, ein Demokrat und Unterstützer Obamas, über den sphinxhaften US-Präsidenten.

Während Bill Clinton stets die Nähe der Bürger suchte – «ich fühle euren Schmerz», behauptete er – und bei öffentlichen Auftritten unablässig Hände drückte und Nahestehende umarmte, verabscheut Barack Obama die Pflichten des Wahlkampfs. Hastig presst er ein wenig Fleisch und zelebriert ein wenig Small Talk, ehe er lieber früher als später aufbricht und sich in seinen Kokon zurückzieht.

Von aussen unsichtbar

In einem gepanzerten Bus besuchte dieser kopflastige Politiker vergangene Woche Virginia und North Carolina, beides Bundesstaaten, die er in den Wahlen 2008 gewonnen hatte und im November 2012 gewinnen muss für eine zweite Amtszeit. Statt sein luxuriöses Gefährt jedoch mit Bürgern zu teilen, die er spontan auf eine kurze Strecke hätte mitnehmen können, reiste Obama allein, begleitet nur von einem kleinen Stab. Durch getönte Scheiben konnte er die Landschaft beobachten, blieb von aussen aber unsichtbar.

In Hampton in Virginia forderten ihn Anhänger demonstrativ auf, sich zu ihnen zu gesellen. Einen Strassenblock entfernt verliess er den Bus, offenbar unschlüssig, wohin er sich wenden sollte. Die Menschenmenge jubelte ihm zu. Er winkte kurz und stieg wieder ein. Bill Clinton oder George W. Bush wären zu ihren Fans marschiert, hätten mit ihnen gesprochen und Autogramme verteilt. Barack Obama hingegen nimmt kein Bad in der Menge, obschon die Amerikaner diesen Präsidenten trotz aller politischen Differenzen nach wie vor mögen.

Frostige Beziehungen

«Er mag die Politik, aber er mag sie wie ein Wahlkampfmanager und nicht wie ein Kandidat», sagte ein Insider der «Washington Post» über den Harvard-Absolventen, dessen Schwierigkeit zu menscheln längst auch das Verhältnis zu seiner eigenen Partei trübt. Frostig sind Obamas Beziehungen zu den demokratischen Bonzen auf dem Kapitolshügel, wo der Präsident in drei Jahren viel Kapital verspielt hat. «Erstaunlich» sei, was führende Demokraten hinter Obamas Rücken über ihn sagten, behauptet Mort Zuckerman.

Der Präsident streichelt die Parteifreunde nicht. Selten nur lädt er sie zu einem Drink ein. Und noch seltener konsultiert er sie. «Er ist kein Mensch, der sich zu sehr auf andere verlässt; er verarbeitet die Dinge in seinem eigenen Kopf», sagt sein alter Freund und Berater David Axelrod. Obama strotze vor Selbstbewusstsein, befand der einstige Notenbankchef und Berater Paul Volcker – und vielleicht ist es Selbstüberschätzung, die ihn davon abhält, wie Bill Clinton von überall her Rat einzuholen. Zudem scheint es Obamas Grundbefindlichkeit zu entsprechen, Probleme stets mit sich selber auszumachen, anstatt sie vor anderen auszubreiten.

Allein in der virtuellen Welt

Sogar Kabinettsmitglieder beklagen sich über die Unnahbarkeit des Präsidenten; wirklich nahe sind ihm nur wenige alte Freunde aus Chicago sowie Gattin Michelle und die beiden Töchter. Sind die Kinder zu Bett gegangen, zieht sich der Präsident in sein kleines Büro im Wohntrakt des Weissen Hauses zurück, beladen mit Ordnern. In einem davon befinden sich zehn Briefe von Bürgern, die der Stab des Präsidenten zu abendlicher Lektüre auswählt.

Danach vereinsamt Obama im Internet: Der Präsident wandert mit dem Browser durch virtuelle Welten, weit entfernt vom Getümmel des beginnenden Wahlkampfs und von den Menschen, die Obamas Hände schütteln und ihm etwas ans Herz legen wollen. Einfach hat es Obama nicht gehabt im Leben; im Gegensatz zu Clinton, der gleichfalls aus einer zerbrochenen Familie stammte, scheint ihm Empathie jedoch schwerzufallen – eine politische Hypothek für einen Präsidenten, der sich im kommenden Jahr der Wiederwahl stellen muss.

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