The Forgotten War

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Der vergessene Krieg

Von Bettina Vestring

7 | 11 | 2011

Saddam ist tot, Bush abgewählt, der Krieg für beendet erklärt – nun will niemand mehr etwas von Irak wissen. Doch die USA tragen die Verantwortung für die Zukunft des Landes.

Michele Bachmann, eine der republikanischen Kandidaten für die US-Präsidentschaft, hatte eine verblüffende Idee. Jetzt, da die letzten US-Soldaten aus dem Irak abgezogen würden, sei es an der Zeit, den Amerikanern ihre Unkosten erstatten. Die Iraker sollten, so Bachmann, das bezahlen, was die Befreiung ihres Landes gekostet hat: geschätzte 800 Milliarden Dollar für acht Jahre Krieg und Besatzung . Eine Kleinigkeit für ein ölreiches Land. Oder?

In seiner Ignoranz und Anmaßung klingt Bachmanns Vorschlag vertraut: Er ist ein spätes Echo der Bush-Jahre, jener Zeit, in der die amerikanischen Neokonservativen feindliche Regime in der muslimischen Welt mit Befreiungskriegen überziehen wollten. Einen positiven Aspekt hatte Bachmanns Auftritt immerhin: Als eine der Wenigen nahm sie überhaupt Notiz davon, dass der Abzug der letzten US-Soldaten aus dem Irak das Ende eines langen, blutigen und äußerst umstrittenen Feldzugs markiert.

Im Jahre 2008 hatte Barack Obama als Präsidentschaftskandidat den Irak-Krieg noch zum Wahlkampf-Thema gemacht. Jetzt war ihm die Ankündigung, die letzten 39.000 Soldaten würden noch vor Weihnachten heimkehren, genau sechs Minuten Redezeit wert. Die Amerikaner reagierten mit Schulterzucken; auch die übrige Welt ignorierte das Ereignis. Welch ein kurioses Phänomen, dass ein Krieg, dessen Ausbruch die Welt spaltete, nun so seicht plätschernd endet! Über 4 400 amerikanische Soldaten starben im Irak, 32.000 weitere wurden verletzt. Wie viele Iraker den Tod fanden, wurde nicht gezählt. Seriöse Schätzungen gehen von 100.000 aus.

Abriss ist leichter als Aufbau

Was bleibt also? Was haben die USA mit all ihren Waffen, Soldaten und Dollars in den acht Jahren erreicht? Der Diktator ist weg, die brutale Herrschaft Saddam Husseins beendet; das ist etwas, das auch Kritiker des Kriegs nicht vergessen dürfen. Aber Abriss ist leichter als Aufbau – oder in den Worten von US-Verteidigungsminister Leon Panetta: „Jedes Arschloch kann eine Scheune abbrennen; es bedarf der Führung, eine aufzubauen.“ Ein stabiles, sicheres, gar demokratisches Land ist der Irak noch lange nicht. Die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, Islamisten und Nationalisten, Kurden und Arabern sind ungelöst. Allein im letzten Jahr starben in dem angeblich befriedeten Land 2 600 Zivilisten. Das waren genauso viele wie in Afghanistan, wo selbst deutsche Minister das Wort Krieg nicht mehr scheuen.

Die Türkei hat zur Verfolgung von kurdischen Unabhängigkeitskämpfern Soldaten in den Norden Iraks entsandt; Irans Agenten buhlen um Einfluss im Süden des Landes. Iraks Armee verfügt über ganze 70 Panzer und überhaupt keine Luftverteidigung – dafür waren schließlich die Amerikaner da, die in den letzten Jahren enorm nützliche Arbeit als Friedenstruppen und Aufbauhelfer verrichteten. Mit ihrem Abzug steigt die Wahrscheinlichkeit dramatisch, dass Irak auseinanderbricht. Die 1 000 US-Diplomaten, die mitsamt zahllosen Helfern und Beschützern im Irak bleiben sollen, werden die Soldaten nicht ersetzen können.

Obama verhält sich schäbig

Das US-Militär hatte sich deswegen für eine weitere Präsenz im Land eingesetzt, auch die irakische Regierung war grundsätzlich dafür. Doch letztlich scheiterten die Verhandlungen, weil die USA auf Immunität für ihre Soldaten vor der irakischen Justiz bestanden, ein Zugeständnis, zu dem die irakischen Politiker nicht bereit waren. Zu groß ist noch immer die Wut im Volk über die Folterungen im US-Gefängnis Abu Ghraib.

Vielleicht hätten sich beide Seiten noch einigen können – wenn Iraks Regierungschef Maliki die Autorität und den Willen gehabt hätte, im zerstrittenen Parlament eine Mehrheit zu finden, und wenn US-Präsident Obama sich mehr bemüht hätte. Doch dazu hatte der amerikanische Präsident wenig Lust – Irak war schließlich Bushs Krieg, nicht seiner. Dass es die USA insgesamt sind, die durch ihren Angriff auf Irak 2003 Verantwortung für die Zukunft des Landes tragen, ignoriert Obama. Das ist schäbig, aber es wird gedeckt von der Gleichgültigkeit seiner Landsleute und der übrigen Welt. Saddam ist tot, Bush abgewählt, der Krieg für beendet erklärt – nun will niemand mehr etwas von Irak wissen.

Afghanistan, Irak, jetzt auch Libyen: Immer wieder stellen die USA und ihre europäischen Verbündeten unter Beweis, dass sie fähig und gewillt sind, Zwangsherrscher zu stürzen. Im ersten Fall ging es um Vergeltung für die Anschläge vom 11. September 2001, bei den beiden anderen Ländern dürfte der Blick auf die Ölreserven eine Rolle gespielt haben. Aber genauso wichtig war die Anteilnahme von Europäern und Amerikanern am Schicksal der unterdrückten Völker.

Mitgefühl ist ein edles Motiv. Aber Gutes bewirkt es nur, wenn nach der Zerstörung der Wiederaufbau gelingt. Im Irak fehlte dazu die Geduld.

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