Truly Stupid

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Truly stupid

Mark T. Fliegauf

23 November 2011

Wenn die Zukunft Amerikas und der Welt in “smart power” liegt, wird einem beim Blick auf die Vorwahlen der Republikaner himmelangst – Von Mark T. Fliegauf

Mir wird jedes Mal aufs Neue mulmig, wenn der Flieger auf die Startbahn rollt. Und auch jetzt verspüre ich wieder ein ungutes Gefühl. Doch meine Irritation rührt diesmal nicht von meiner – Gott sei Dank milden – Flugangst, sondern von der kognitiven Dissonanz, die mich beim Lesen von Joseph Nyes Werk “The Future of Power” in meinem Sitz überkommt. Denn Nye, Harvard-Professor mit intimen Verbindungen nach Washington, argumentiert, dass Amerika seine globale Vormachtstellung behalten und einer Eskalation mit China ausweichen kann. Doch dafür benötigten die Vereinigten Staaten vor allem eines: “smart power”.

Es ist dieses “smart”, das mir Unbehagen bereitet. Denn in den vergangenen Wochen habe ich den Vorwahlkampf der amerikanischen Republikaner genauer verfolgt. Und wie sollte einem angesichts dessen nicht himmelangst werden?

Verbalattacken statt Inhalte

Dabei ist unbestritten, dass jener Vorwahlkampf durchaus Unterhaltungswert besitzt. Gerade, weil ihn die drei Hauptprotagonisten offensichtlich in Hobbes’scher Manier auffassen: als Krieg aller gegen alle. Herman Cain, der einst der “Pizza des Paten” vorstand, sieht sich dabei dem Verdacht ausgesetzt, dass er später seine Hände nicht nur über Pizzateig und Salami hat gleiten lassen. Cain selbst beteuert seine Unschuld und bezichtigt seinen Konkurrenten Rick Perry, eine mediale Schlammschlacht auf seinem Rücken inszenieren zu wollen.

Perry, Gouverneur von Texas, wiederum ist über diese Anschuldigungen in höchstem Maße empört! Was ihn aber nicht davon abhält, seinen Widersacher Mitt Romney als wahren Urheber des Skandals zu verdächtigen. Die unterhaltsame Posse hat durchaus komische Züge, allerdings auch einen schalen Beigeschmack. Denn Cain und Perry scheinen sich deshalb so gerne mit gegenseitigen Verbalattacken einzudecken, weil sie inhaltlich nur wenig zu sagen haben.

So plant Perry, wie nahezu alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten, verschiedene Regierungsbehörden aufzulösen, um Steuergelder zu sparen. Nur welche Behörden auf seiner Streichliste stehen, konnte er sich in einer landesweit übertragenen Debatte trotz aller Anstrengungen nicht in Erinnerung rufen. Ups! Derweil hat Cain weiter zu seinem zweifelhaften Ruf beigetragen, indem er sich – in bester Palin-Manier – erst keine Meinung zu den jüngsten Geschehnissen in Libyen bilden konnte, um anschließend die Taliban und al-Qaida in der libyschen Regierung zu verorten.

Voodoo, Gott und Kinderrecht

Da ist es fast schon überflüssig zu erwähnen, dass beide Kontrahenten weder an Klimawandel noch an Evolution glauben, was sie wiederum mit Michele Bachmann verbindet. Bachmann, eine wiedergeborene Christin, hält den wissenschaftlichen Konsens über die Erwärmung des Planeten für Voodoo und wird von Matt Taibbi als religiöse Eiferin beschrieben, “deren Gehirn einem tobenden, elektrischen Sturm göttlicher Visionen und paranoider Wahnvorstellungen” gleicht. So mag es denn auch nicht verwundern, dass Bachmann eine Verbindung zwischen Homosexualität und Satan konstruiert, während ihr Mann über Jahre eine Therapie angeboten hat, um die jeweils Betroffenen von ihren satanischen Neigungen zu “heilen”. (Zu einem “Best of” von Bachmanns Ansichten geht es hier.)

Selbst die beiden moderateren Kandidaten Mitt Romney und Newt Gingrich haben sich beim Thema Klimawandel um nahezu 180 Grad gedreht und zweifeln mittlerweile an der Validität der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Im Falle Gingrichs sind die Erkenntnisse des IPCC nicht das einzige Hinterfragenswürdige für einen wachen Geist. Ganz oben auf seiner Liste: die U.S.-Gesetze zur Kinderarbeit. Denn indem sie die gewerbliche Tätigkeit von 9- bis 14-Jährigen verbieten beziehungsweise strikt reglementieren, tragen sie maßgeblich zur hohen Kinderarmut in amerikanischen Großstädten bei. Und damit seien sie, so Gingrich, truly stupid. (Mark T. Fliegauf, derStandard.at, 23.11.2011)

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