Die Tea Party ist wohl endgültig vorbei
Von Frank Herrmann
30. November 2011
Newt Gingrichs Aufstieg aus dem politischen Jammertal: Der 68-jährige ist plötzlich Favorit der Republikaner
Der steile Aufstieg aus dem politischen Jammertal: Newt Gingrich, im Sommer bereits abgeschrieben, ist plötzlich das klassische Comeback-Kid, der Favorit unter den republikanischen Kandidaten für das Weiße Haus.
Newt Gingrich kann wieder lachen. Selbstironisch erzählt er Geschichten aus dem politischen Jammertal, als ihn alle abgeschrieben hatten. “Ich rief die Leute an und sagte: ‘Hallo, würdet ihr für mich spenden?’ Und sie sagten: ‘Aber du bist doch schon tot!'” Vier Monate später ist Gingrich zu blühendem Leben erwacht. In Umfragen rangiert er plötzlich auf Platz eins der Konservativen für die Präsidentenwahl 2012. Wenn man so will, ist es der vorläufige Triumph des Establishments über die Tea-Party-Umstürzler.
Anfangs war Michele Bachmann, die Radikal-Sparerin, en vogue. Dann Rick Perry, der stramme Gouverneur aus Texas. Ihm folgte Pizzamogul Herman Cain. Nun schart Gingrich, der Inbegriff des Altpolitikers, all jene um sich, die nach der Maxime “ABR” handeln: “Anyone But Romney” – Jeder außer Mitt Romney, bei dem treue Parteisoldaten den konservativen Stallgeruch vermissen.
Es ist ein Comeback, das an John McCain erinnert. Auch der hatte vor vier Jahren schon fast die Segel gestrichen, bevor er an allen vorbeizog und das Endspiel gegen Barack Obama bestritt. Nur dass Gingrichs Karren noch tiefer im Dreck steckte: Im Juni waren seine Berater abgesprungen, weil er lieber in der Ägäis urlaubte statt Bauernhände zu schütteln. Doch bei TV-Diskussionen schaffte der Historiker die Wende und wirkte souverän, sodass sich die verzweifelte Basis auf einmal ihn im Oval Office vorstellen kann.
Der 68-Jährige mit dem schlohweißen Haar pflegt das Image, so etwas wie der Harvard-Professor der “Grand Old Party” zu sein. Gern würzt er seine Reden mit historischen Parabeln – mal wirkt es weltklug, mal besserwisserisch, mal ausgesprochen giftig.
“Contract with America”
Bevor er vor zwölf Jahren aus dem Kongress ausschied, war Gingrich einer der Hauptdarsteller in Washington gewesen. 1994 stellte er sich vor eine US-Landkarte und schloss den “Contract with America”. Keine roten Budgetzahlen mehr, Abgeordnete sollten nach denselben Regeln leben, die sie ihren Wählern predigten. Das kam an, prompt nahmen die Konservativen den Demokraten von Bill Clinton die Mehrheit im Repräsentantenhaus ab. Von einem Geniestreich Gingrichs war die Rede, der Hinterbänkler aus Georgia wurde Vorsitzender. Allerdings trieb er das Gezerre um das Budget so weit, dass die Bundesbehörden eine wochenlange Zwangspause einlegen mussten – ein Pyrrhussieg.
Es ist eine Hypothek, die noch heute auf ihm lastet. Die amerikanische Mitte sehnt sich nach parteiübergreifendem Konsens, um den Problemstau aufzulösen. Gingrich dagegen setzt polemisch auf Rezepte wie eine Radikalkur für die Bundesverwaltung. Damit will er 500 Milliarden Dollar sparen. Gleichwohl ließ er sich eine Beraterrolle beim Immobilienbankriesen Freddie Mac mit 1,8 Millionen Dollar bezahlen. Kein Wunder, dass der Vorwurf der Scheinheiligkeit die Runde macht. “Ein Politiker, den man jederzeit mieten kann”, zürnt der konservative Kolumnist George Will.
Gingrichs Achillesferse, zumindest bei sozialkonservativen Wählern, ist sein Privatleben. Von seiner ersten Frau Jackie trennte er sich, als sie nach einer Krebsoperation noch im Krankenhaus lag. Da hatte er bereits eine Affäre mit Marianne, seiner zweiten Gattin, die wiederum seiner blonden Assistentin Callista Bisek Platz machen musste. Das alles hinderte ihn nicht, furios auf die Amtsenthebung Bill Clintons zu drängen, nachdem dessen Sexspiele mit Monica Lewinsky bekannt geworden waren.
Marianne hat es vor ein paar Monaten so zusammengefasst: “Was Newt öffentlich sagt und wie er selber lebt, muss nicht unbedingt miteinander zu tun haben.” (DER STANDARD-Printausgabe, 30.11.2011)
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