Leises Ende eines Kriegszugs
Von Olivia Schoeller
16 | 12 | 2011
Die USA beenden ihren Militäreinsatz in Irak. Saddam ist weg – aber von einem Triumph kann keine Rede sein. Neue Kriege dieser Art sind derzeit unwahrscheinlich. Die USA sind pleite.
Ende April 2003 veröffentlichte das Time Magazine ein Sonderheft. Es trug den triumphalen Titel: In 21 Tagen nach Bagdad. Das Heft dokumentierte in vielen Bildern den raschen Sieg der US-Armee über Saddam Husseins Streitkräfte. Es zeigte amerikanische Soldaten zu Fuß im Sandsturm, in Panzern, in Helikoptern und am Ende das symbolische Foto von der gestürzten Saddam-Statue auf dem Firdos Platz in der Mitte Bagdads. Ungefähr zur gleichen Zeit landete George W. Bush mit einem Kampfjet auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln und erklärte „Mission Accomplished“ – die Mission ist erfüllt.
Heute kratzt man sich am Kopf, wenn man sich erinnert, wie sehr die schnelle Eroberung Bagdad einst gefeiert wurde. Irgendwie konnte man damals nicht glauben, dass der Sieg gegen Saddam Hussein, den Mann mit dem Giftgas und dem angeblich gigantischen Arsenal an nuklearen Waffen tatsächlich in nur drei Wochen und mit einer relativ geringen Anzahl von amerikanischen Verlusten zu bewältigen war. Man feierte und freute sich, denn dies war der Beweis: Auch wenn Terroristen wie Osama bin Laden am 11. September 2001 die Nation verletzt hatten, die USA würden die größte Supermacht bleiben. Denn immerhin: In nur drei Wochen nach Bagdad!
In diesen Tagen, in denen Präsident Barack Obama die letzten aus dem Irak zurückkehrenden US-Soldaten begrüßt und Bilanz zieht, wirken die Erinnerungen absurd. 4 500 tote US-Soldaten, 30 000 Verwundete GIs, der Mehrheit von ihnen fehlen Körperglieder. Andere werden ihre seelischen Wunden vielleicht nie wieder los. Mindestens 100 000 tote Iraker. Jedes Schulkind in den USA weiß heute: George W. Bushs Mission ist nicht erfüllt. Der Irak ist nicht die Demokratie geworden, von der die Neokonservativen träumten, der Sturz Saddam Husseins führte nicht zur Demokratisierung der Region, das Regime in Teheran ist nicht geschwächt. Im Gegenteil. Iran hat mehr Einfluss denn je auf den Irak, mischt sich ein.
Und die Menschen, die Befreiten? Für sie ist das Leben acht Jahre nach Kriegsbeginn noch immer bedrohlich, der Alltag mit Wasser- und Stromknappheit, Polizeiwillkür und der Gefahr von Anschlägen unsagbar schwer. Es gibt einen Diktator weniger auf dieser Welt, das ist gut. Und den USA ist es gelungen, den von ihnen verursachten Bürgerkrieg wieder einzudämmen. Doch das Land, das amerikanische Truppen heute verlassen, ist nicht die „stabile Nation“ von der Obama während er Rückkehr-Zeremonie in Fort Bragg sprach. Die US-Truppen haben Bagdad zwar in drei Wochen erobert, aber nach acht Jahren Besatzung haben sie in Irak noch immer nicht gesiegt.
Den meisten Amerikanern ist das klar. Mit einem Triumph hat keiner mehr gerechnet. Selbst als die USA 2007 durch ihre neue Strategie das Land etwas befriedeten, blieb es doch bei der Ablehnung des gesamten Einsatzes. Die Amerikaner sind kriegsmüde. Der Irak-Krieg verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung. Andere Probleme traten in den Vordergrund: die heftige Wirtschaftskrise, die hohe Arbeitslosigkeit, persönliche Insolvenzen, die große Verschuldung des Landes, die Tea-Party.
Nur so ist es zu erklären, dass der einst so sehnsüchtig erwartete Tag des offiziellen Kriegsendes kaum eine Rolle spielt in den USA. Am Tag, nach dem Obama die Soldaten auf amerikanischen Boden begrüßt hatte, berichten die Zeitungen spärlich über den Auftritt. Viel wichtiger ist ihnen zum Beispiel der Kampf zwischen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Newt Gingrich und Mitt Romney.
Wie wenig Kriegslust derzeit in den USA herrscht, zeigte sich bereits im Falle Libyens. Washington beteiligte sich zwar an den Kampfhandlungen, aber nur im Rahmen der Nato. Barack Obamas Strategie des „Leading from behind“ – also „Führen aus der zweiten Reihe“ – wurde in den USA von den meisten begrüßt. Es war klar: Niemand hatte Lust auf ein zweites Desaster à la Irak. Es schien, als habe man aus dem Fehler gelernt, als wüssten die Amerikaner heute, dass sie nicht gewinnen können, als hätten sie nicht die geringste Lust, nach den Lehren, die man aus den Kriegen aus Vietnam und Irak zog, schon wieder junge Amerikaner in einen Krieg schicken. Nicht nur aus moralischen Gründen. Dem Land fehlt schlichtweg das Geld für so ein Unternehmen. Ganz Amerika weiß das.
Ganz Amerika? Nein. Noch heute leistet ein kleine Gruppe erbitterten Widerstand gegen diese Erkenntnis. Sie heißen: republikanische Präsidentschaftsanwärter. Sie kritisieren Obama nicht nur für seine Zurückhaltung im Fall Libyen, sie werfen ihm auch vor, durch den Rückzug der US-Streitkräfte Irak preisgegeben zu haben. Noch kann man ihr Säbelrasseln als Wahlkampfgetöse abtun und sich damit trösten, dass die USA in jedem Fall einfach zu pleite sind, um einen möglichen neuen Anlass für ein Time-Sonderheft zu schaffen.
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