Die Zeit wäre reif für einen neuen Mieter im Weißen Haus
Von CHRISTIAN ULTSCH (Die Presse)
5.01.2012
Die größte Stärke von US-Präsident Obama bei der Wahl im November ist die Schwäche seiner Herausforderer. Nur Romney kann ihm gefährlich werden.
Die Zeichen stünden auf Wechsel in den USA. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosigkeit verharrt hartnäckig über acht Prozent, die Schulden türmen sich auf gigantische 15 Billionen Dollar. Längst ist die Aufbruchstimmung, die Barack Obama herbeigeredet hat, auf dem Kuscheltierfriedhof der enttäuschten Hoffnungen gelandet.
Mehr als die Hälfte der Amerikaner ist mit der Amtsführung ihres Präsidenten unzufrieden. Außer einer Gesundheitsreform, die auch nicht unumstritten ist, hat der entzauberte Massenhypnotiseur nicht viel weitergebracht. Barack Obama wäre für die Abwahl im November reif wie Weintrauben für die Lese.
Doch gefüllt ist die Butte noch lange nicht. Denn die Republikaner haben bisher noch keinen überzeugenden Erntehelfer ins Feld geschickt. Von den sieben Präsidentschaftskandidaten der Grand Old Party, die sich seit Monaten in einem peinlichen Dauerwahlkampf beharken, kann auch ein geknebelter Obama die meisten problemlos wegputzen.
Kreativität hat die Partei zuletzt nur beim Blockieren im Kongress gezeigt. Aussichtsreichster Konkurrent Obamas wäre wohl noch Mitt Romney. Das hat man sich in Iowa auch gedacht. Und deshalb hat der Ex-Gouverneur von Massachusetts bei den Vorwahlen in dem kleinen bäuerlichen Bundesstaat auch die meisten Stimmen erhalten, wenngleich nur um acht mehr als der überraschend starke Rick Santorum.
In der nächsten Station des Vorwahlwanderzirkus, in New Hampshire, liegt Romney in Umfragen klar voran. Der bigotte Santorum muss auf ein Wunder hoffen: Er hat fast nur in Iowa Hände geschüttelt und ist anderswo sowohl finanziell als auch organisatorisch schwach aufgestellt. Ihm könnte nach dem Traumstart schnell die Puste ausgehen.
Romneys wichtigster Erstrundenerfolg ist es, seinem schärfsten Gegner, Newt Gingrich, einen schweren Schlag in die Magengrube versetzt zu haben. Eine Kampagne negativer TV-Werbespots reichte, um den ehemaligen Kongressmehrheitsführer in die Schranken zu weisen. Spätestens jetzt müsste allen klar sein, welche weiten Angriffsflächen Gingrichs Biografie bietet. Er wechselte nicht nur Frauen, sondern auch die Religion und seine politischen Positionen. Es wäre bei aller intellektuellen und rhetorischen Schärfe, zu der Gingrich fähig ist, keine gute Idee, einen mehrfach überführten Heuchler in die Präsidentschaftswahl zu schicken. Für Rick Perry, den geistig offenbar etwas überforderten Gouverneur aus Texas, ist das Rennen nach Iowa vorbei. Für den Diplomaten und ehemaligen Gouverneur von Utah, Jon Huntsman, hat es nie richtig begonnen. Michele Bachman, der schrille Star der Tea Party, ist schneller verglüht als eine Silvesterrakete.
Bleibt Ron Paul: Das 76-jährige libertäre Urgestein brachte es in Iowa auf beachtliche 21 Prozent und liegt auch bundesweit in Umfragen gut im Rennen. Mit seiner radikalen Ablehnung des Staates und seinem außenpolitischen Isolationismus verschreckt er zwar das Establishment, doch er begeistert viele Jugendliche. Doch dass die Republikaner tatsächlich einen erratischen Außenseiter wie ihn auf den Schild heben, ist nach wie vor kaum vorstellbar.
Drei Strömungen wurden in Iowa sichtbar: Pauls zorniger Anti-Etatismus, Santorums aggressiver Konservativismus und Romneys professioneller Pragmatismus. Bündeln kann sie am ehesten der biegsame Mitt Romney. Der Mann ist nicht wirklich beliebt. Er hat die Ausstrahlung einer Schaufensterpuppe, ändert seine Argumente je nach Verkaufssituation wie ein Versicherungsvertreter, und er ist ein Mormone. Bei allem Geld, das der Millionär in den Wahlkampf gesteckt hatte, durchbrach er in Umfragen nie die 25-Prozent-Marke. Monatelang suchten die Republikaner verzweifelt nach einer Alternative – und landeten doch wieder bei ihm. Denn keiner kann dem Manager die Wirtschaftskompetenz absprechen. Und keinem wird deshalb in Zeiten der Krise eher zugetraut, Obama schlagen zu können.
Noch ist kein Fall von Romney-Mania ärztlich attestiert. Die Begeisterung für ihn war bisher ähnlich ausgeprägt wie bei einem Buchhalterkongress. Doch das muss kein Nachteil sein. Obama hat den Bedarf nach Charismatikern für die nächsten Jahre gesättigt.
(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 05.01.2012)
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