Obamas Stabschef zurückgetreten
Vergiss den Kongress!
Von Matthias Rüb
10.01.2012
William Daley hat als Stabschef für Obama die Beziehungen zur Wall Street sowie zu den Abgeordneten und Senatoren gepflegt. Doch beides ist vor der Wahl nicht mehr so gefragt.
William Daley wollte eigentlich bis zu den Wahlen im November Stabschef im Weißen Haus bleiben. Nun räumt er seinen Posten schon Ende Januar, nach nur einem Jahr im Amt. „Bill hat mir gesagt, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte“, sagte Präsident Barack Obama am Montagabend, als er den 63 Jahre alten Daley verabschiedete und den Budgetdirektor im Weißen Haus, Jacob Lew, als Nachfolger vorstellte. Daley habe ihm noch im alten Jahr von seiner Rücktrittsabsicht berichtet, erzählte Obama, worauf er Daley geraten habe, die Sache noch einmal zu überdenken.
Doch nach Gesprächen mit seiner Frau während der Weihnachtsfeiertage stand für Daley fest: Er kehrt heim nach Chicago. Er hatte die Stadt erst im Januar 2011 verlassen, nachdem sich Obamas erster Stabschef Rahm Emanuel für das Amt des Bürgermeisters von Chicago beworben hatte – weil Daleys älterer Bruder Richard M. Daley keine siebte Amtszeit mehr anstrebte. Emanuel gewann die Bürgermeisterwahl im Februar. Wenn bald auch im Weißen Haus kein Daley mehr sitzt, endet für diese Familie irischer Einwanderer eine Ära.
Denn schon der Vater von Richard M. und William Daley, Richard J. Daley, Jahrgang 1902, hatte mehr als zwei Jahrzehnte lang wie ein Monarch über Chicago geherrscht, das den Beinamen „Windige Stadt“ nie nur wegen der Stürme vom Michigan-See trug. 1976 trennte ihn der Tod von dem Amt, das ihn zu einem der mächtigsten Strippenzieher der Demokratischen Partei gemacht hatte.
Der Rücktritt von William Daley sei für ihn „keine einfache Neuigkeit“ gewesen, klagte Obama, der die Flexibilität und Agilität seines scheidenden Stabschefs hervor: „Niemand in meiner Regierung musste schneller wichtigere Entscheidungen treffen als Bill, und das während eines der arbeitsreichsten und folgenschwersten Jahre meiner Präsidentschaft.“ Daley hatte für Obama vor allem zweierlei tun sollen: die Beziehungen zur Wall Street und mithin zu potenten Wahlkampfspendern pflegen und Verbindung zum Kongress zu halten.
Der Jurist aus Chicago erwies sich beiden Aufgaben gewachsen. Unter Präsident Bill Clinton hatte Daley von 1993 an zunächst als Wirtschaftsberater im Weißen Haus gedient und dann von 1997 bis Anfang 2001 als Handelsminister; in dieser Zeit arbeitete er eng mit dem Kongress zusammen, beispielswewiese um das Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko (Nafta) durchzusetzen. Später kehrte Daley als Vorstandsmitglied bei „JP Morgan Chase“ ins Bankengeschäft zurück, wurde mithin selbst ein Teil der Wall Street.
Im Wahljahr gelten andere Bedingungen
Doch im Wahljahr 2012, das eine scharfe weltanschauliche Auseinandersetzung zwischen Obamas Demokraten und den Republikanern kennzeichnen dürfte, gelten andere Bedingungen. In Washington war seit langem bekannt, dass Daley mit den jüngeren Polit-Aktivisten um Obamas Chefberater David Plouffe kein harmonisches Verhältnis verband. Zudem sind für Obama in Zeiten der Kampagne gute Kontakte zum Kongress und zur Wall Street nicht mehr vordringlich. Obamas Strategie ist es, den Kongress, vor allem das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus, als Haufen von Nichtstuern und Verhinderern hinzustellen: Würden die Republikaner im Kapitol nicht alle wirtschafts- und finanzpolitischen Gesetzgebungsvorhaben blockieren, wäre die Wirtschaft kräftiger in Fahrt gekommen, lautet der Vorwurf.
Noch an Silvester hatte Obama angekündigt, er werde im neuen Jahr immer häufiger mit dem Mittel von Dekreten wichtige Sach- und Personalentscheidungen treffen, weil der Kongress nichts zustande bringe: „We Can’t Wait“ (Wir können nicht mehr warten) lautet deshalb die schon jetzt auf zahlreichen Wahlplakaten abgedruckte Parole für Obamas Wahlkampagne. Zweitens hat sich Obama zum Anwalt der Mittelklasse ausgerufen, die unter der hartnäckigen Rezession besonders leidet. Dabei könnte ein Daley, der während seiner langen Karriere zwischen Finanzwelt und Politik pendelte, das neue Wunsch-Image des Präsidenten als Anwalt des „kleinen Mannes“ stören.
Dabei nützt es dem Präsidenten, dass der republikanische Vorwahlkampf seine Herausforderer zermürbt. Dem frühere Gouverneur von Massachusetts Mitt Romney werfen vor allem seine Rivalen Newt Gingrich, Rick Perry und Jon Huntsman vor, während seiner Tätigkeit für das Beratungsunternehmen „Bain Capital“ bei aufgekauften und restrukturierten Firmen massiv Arbeitsplätze vernichtet und dabei selbst Millionen verdient haben. Für Obama ist das ein Geschenk: Sollte Romney sein Herausforderer werden, dieser aber schon in der eigenen Partei als eine Art Heuschrecke beschimpft werden, dann könnte sich Obama umso einfacher zum Anwalt der Schwächeren stilisieren. Tatsächlich ließ sich bei manchen Wahlwerbespots, die in den letzten Tagen vor den Vorwahlen in New Hampshire vom Dienstag gezeigt wurden, erst beim Abspann erkennbar, ob sie von Romneys republikanischen Konkurrenten oder von Obamas Demokraten stammen.
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