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Posted on January 19, 2012.
Ein Chamäleon gegen Obama
Von Martin Klingst
14.01.2012
Mitt Romney ist der Favorit im Vorwahlkampf der Republikaner. Sein Problem: Nicht mal die eigene Partei mag ihn.
Die Stimme ist dröhnend und ausdauernd. Seit Minuten rezitiert Mitt Romney mit Inbrunst das Lied America, the Beautiful, beschwört die Freiheitsliebe seiner Landsleute und warnt vor der größten Gefahr für das Land: der Wiederwahl von Barack Obama und seiner »Wohlfahrtsbürokratie, wie sie die Europäer haben«.
Man fragt sich ein bisschen, warum das immer wieder zieht. Aber wer noch bezweifelt, dass Romney beste Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner hat, sollte seine Kundgebungen vergleichen. Noch vor einer guten Woche verlor sich sein Publikum in den Hallen, klappten seine Helfer die leer gebliebenen Stühle zusammen und schoben eilends Stellwände herein, um die Räume zu verkleinern. Peinliche Bilder, gegen die Romney anzulachen versuchte. An diesem Abend drängen sich rund tausend Menschen in einer Schule in Exeter, New Hampshire, und wedeln mit Amerika-Fähnchen. Erfolg macht attraktiv.
Romney führt nach den ersten zwei Runden in Iowa und New Hampshire im Vorwahlkampf, er hat mehr Geld als seine Konkurrenten, seine Wahlkampfteams sind in allen 50 Bundesstaaten präsent, und seine Gegner erledigen sich selber. Laut Umfragen hat nur er, der Unternehmer und Ex-Gouverneur von Massachusetts, eine Chance gegen Barack Obama. Wichtige Parteiführer haben sich deshalb auf seine Seite geschlagen, auch Senator John McCain, der Romney 2008 aus dem Bewerberfeld warf und kein gutes Haar an ihm ließ. Bei einem der Auftritte Romneys in New Hampshire schaut er während dessen Rede gelangweilt auf die Uhr, eilt dann ans Mikrofon und preist ihn als »fähigen Mann«, der anders als Obama das Zeug zum »Staatenlenker« habe. Mitt Romney ist der Favorit. Aber einer, den keiner so recht mag.
Warum, lässt sich dieser Tage im Schlepptau des Kandidaten gut beobachten. Es gibt unzählige Mitt Romneys, die politisch wie charakterlich miteinander im Wettstreit liegen. Und man fragt sich jeden Tag, welcher von ihnen morgens aufgestanden ist.
Romney, der Businessman
In Derry taucht Romney in einer Turnhalle auf und gibt den volksnahen Burschen, dessen Biografie ein wenig von der Härte des Lebens durchschimmern lässt. Wie ein Zinnsoldat läuft er mit kurzen, abgehackten Schritten auf der Bühne hin und her, die Knie fest durchgedrückt, erzählt vom eigenen »Grandpa«, der mehrere Male pleiteging. Er bekennt, dass auch er selber sich schon vor dem pink slip, dem rosafarbenen Zettel mit der Kündigung, gefürchtet hat. Allerdings wüsste man von dem Sohn eines millionenschweren Managers aus der Autobranche gern, wann das gewesen sein soll.
Zwei Tage später, in der Handelskammer von Nashua, hat Romney, der Businessman, seinen Auftritt, der als Chef des Private-Equity-Konzerns Bain Capital mit der Sanierung maroder Unternehmen ein Vermögen verdient hat, schätzungsweise rund 150 Millionen Dollar. Mit weit ausholenden Armbewegungen preist er seine Verdienste bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. »Ich weiß seit Bain, wie man für Jobs sorgt«, sagt er, rattert seine Erfolge herunter und wirkt deutlich eloquenter als noch in Derry.
Doch am Morgen hat ausgerechnet das Wall Street Journal an seinem Image als »Mister Fix-it« gekratzt. Romney habe nicht nur Jobs geschaffen, heißt es in einem Artikel auf der Titelseite, sondern auch viele vernichtet. Seine Bilanz spreche jedenfalls nicht uneingeschränkt dafür, dass er am besten geeignet sei, Amerikas Not leidende Wirtschaft wieder anzukurbeln. Romney spricht von übler Nachrede. Irgendwann während seines Besuches bei der Handelskammer sagt er dann einen folgenschweren Satz: »Ich mag es, Leute feuern zu können!«
Romneys Maskenwechsel wirken ungelenk
Eigentlich meinte er damit das Recht eines jeden, eine Krankenversicherung loszuwerden, die keine ausreichenden Leistungen bietet. Aber Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen gehört zum Standardrepertoire amerikanischer Wahlkampfstrategen. Die Gegner beißen sofort zu und zeichnen Romney als skrupellosen, geldgierigen Unternehmer. Umgehend bemühen sich Ehefrau Ann und zwei seiner Söhne um Schadensbegrenzung und erzählen die Geschichte von Mitt, dem Ehemann und Vater, der auch mal fünf Wochenenden hintereinander zu Hause beim Gartenbau verbringt. Mitt, der Heimwerker, der sich auch selbst die Hände schmutzig macht.
Amerikanische Vorwahlkämpfe bieten alle vier Jahre diese Mischung aus schlechtem Theater und Raritätenkabinett – Letzteres vor allem von republikanischer Seite. Zur besten Sendezeit fordern dann kantig auftretende Männer oder Frauen die Abschaffung diverser Bundesministerien, das Ende aller Steuern, den Abzug aller amerikanischen Truppen aus dem Ausland – oder deren Entsendung. Die moderateren und damit aussichtsreicheren Bewerber blasen ins gleiche Horn (nur leiser). Dabei widersprechen sie ungeniert eigenen politischen Überzeugungen und Positionen, die sie vor dem Wahlkampf noch für unverzichtbar erklärt haben, nur um sich dann Opportunismus vorwerfen zu lassen. Dieses Ritual, so durchsichtig es ist, enthält oft auch Botschaften und Zugeständnisse an bestimmte Gruppen, die diese dann nach einem Wahlsieg einfordern können.
Mitt Romneys Problem ist, dass er – anders als zum Beispiel der Wendekünstler Bill Clinton – diese Maskenwechsel besonders ungelenk vollzieht und sie weder durch mitreißende Rhetorik noch durch eine Vision ausgleichen kann. Fehlende Authentizität ist bei ihm nicht Mittel zum Zweck, sondern Markenzeichen. Den einzigen wuchtigen Auftritt legte er hin, als er vor fünf Jahren in einer Rede seinen Glauben verteidigte. Romney ist Mormone und damit in den Augen vieler Landsleute Mitglied eines »Kults«. Alle anderen Themen scheinen bei ihm Verhandlungssache zu sein.
Als er 1994 dem Urliberalen Ted Kennedy sein Senatorenamt streitig machen wollte, pries er sich als moderaten Republikaner mit »progressiven Ansichten«. Romney stritt früher für einen starken Umweltschutz, für das Recht auf Abtreibung und die Schwulenehe. Jetzt erklärt er alles das ebenso zum Teufelszeug wie Obamas Gesundheitsreform, die er noch als Gouverneur für seinen Bundesstaat kopiert und durchgesetzt hatte.
Man mag Romney zugutehalten, dass er die Führung seiner Partei in einem Moment anstrebt, da diese im Sog der rechten Tea-Party-Bewegung steckt. Deren Positionen sind nicht mehrheitsfähig, aber ohne die Mobilisierung wenigstens eines Teils ihrer Anhänger kann er gegen Obama nicht gewinnen. Keine Sorge, verbreiten Romneys Freunde, der Kandidat werde sich schnell wieder mäßigen.
Aber hinter viele Versprechen wird es kein Zurück mehr geben. Der neue Romney will im Fall seines Wahlsiegs sofort Obamas Gesundheitsreform kassieren, radikal Sozialleistungen streichen und den Militäretat kräftig aufstocken. Amerika müsse auch in Zukunft zwei Kriege auf einmal führen können, verkündete er in New Hampshire unter großem Applaus. Zu seinen außenpolitischen Beratern zählen etliche rechte Neocons. Als Präsident will Romney sich mit China anlegen und in Abkehr von einer alten Tradition seinen ersten Auslandsbesuch nicht Kanada, sondern dem »seelenverwandten« Israel abstatten.
Als dann am Ende der Kundgebung ein Zuschauer hartnäckig fragte, ob es eine Chance gebe, den alten Mitt wiederzubeleben, drehten die Wahlkampfhelfer die Musik auf.
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