The Land of Limited Opportunity

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Land der begrenzten Möglichkeiten

Von Sebastian Moll

20 | 1 | 2012

Bisher galt Klassenkampf in den USA als Schimpfwort. Doch die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm beunruhigt nun sogar die konservativen Wähler.

Der republikanische Kandidat Newt Gingrich macht derzeit einen besonders verwirrten Eindruck. In einem Moment scheint er voll auf Parteilinie zu liegen und beklagt, dass der politische Gegner in Amerika einen „Klassenkampf“ anzetteln will. Die weniger gut verdienenden Amerikaner gegen die Wohlhabenden aufzuhetzen, sei schlicht unamerikanisch und treibe einen Keil in die Gesellschaft.

Darin ist sich Gingrich ganz mit seinem republikanischen Mit-Kandidaten Romney einig, der sich jüngst darüber beklagte, dass erfolgreiche Leute wie er plötzlich verteufelt werden. Amerika sei traditionell keine Neidgesellschaft, schließlich könne es jeder mit harter Arbeit zu etwas bringen. Früher seien die Erfolgreichen deshalb Identifikationsfiguren gewesen und nicht Hassobjekte. Sicherlich könne man über politische Details wie die höhere Besteuerung für höhere Einkommen diskutieren, aber bitte diskret hinter verschlossenen Türen in Gremien und nicht im Wahlkampf.

Wenn es daran geht, Romney die Wählerstimmen abzuluchsen, kann Gingrich allerdings nicht der Versuchung widerstehen, sich den populistischen Zorn gegen den Finanzkapitalismus zunutze zu machen, der spätestens seit Occupy Wall Street das Land bewegt. So hat Gingrich für den Vorwahlkampf in South Carolina einen Dokumentarfilm drehen lassen, der Romneys Wirken als Chef des Hedgefonds Bain Capital beleuchtet. Die antikapitalistische Rhetorik darin ist so ausgeprägt, dass selbst der linke Filmemacher Michael Moore den Clip in den höchsten Tönen lobte.

Gingrichs Lavieren zeugt von einer Verunsicherung, die nicht nur republikanische Politiker angesichts eines erstaunlichen Novums in Amerika befallen hat. In der vergangenen Woche veröffentlichte die New York Times die Ergebnisse einer Studie, die belegte, dass Amerikaner derzeit die Spannungen zwischen Arm und Reich im Land für das größte Problem unserer Zeit halten. Zwei Drittel der Bevölkerung glaubt, dass es „starke Konflikte“ zwischen den Klassen gebe, rund 50 Prozent mehr als noch 2009. Unter Konservativen ist der Anteil etwas geringer, aber es finden immerhin noch 55 Prozent der Republikaner, dass die Schichten in Amerika nicht mehr miteinander auskommen.

Verblüffende Trendwende

Die Ergebnisse markieren eine verblüffende Trendwende. Noch zu Weihnachten hat der liberale Journalist Thomas Frank in seinem Buch „Pity the Billionaire“ seiner Verzweiflung darüber Ausdruck verliehen, dass die Wirtschaftskrise von 2008 die Wähler in Massen in die Arme der Konservativen getrieben hatte. Vor allem die klassischen Wechselwähler, die weiße Arbeiterklasse in ländlichen Gegenden, die 2004 für Bush und 2008 für Obama gestimmt habe, sei nun wieder sicher im konservativen Lager gelandet. Und das, obwohl die konservativen Pläne der Entlastung oberer Einkommen oder die Blockade von Obamas Gesundheitsreform so offensichtlich gegen ihre Interessen stehen.

Die Frustration von Frank ist die Frustration der amerikanischen Linken seit sich im 19. Jahrhundert in der amerikanischen Gesellschaft moderne großkapitalistische Strukturen ausbildeten. Ein echtes Klassenbewusstsein schlug nie wirklich Wurzeln, gleich wie niederschmetternd die wirtschaftlichen Realitäten waren. Sozialwissenschaftler erklären das Phänomen damit, dass das Projekt von Amerika ja gerade die Abkehr von einer Klassengesellschaft war.

Amerika galt sogar noch als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, als es das längst nicht mehr war. Nach der großen Depression in den 30er-Jahren wurde beim New Deal durch massive staatliche Intervention eine so breite Mittelschicht geschaffen, dass jeder glaubte, daran teilhaben zu können. Schon diese Mittelschicht, so Andrew Ross, Leiter des Instituts für Amerikastudien an der New York University, sei jedoch eine künstliche gewesen, mit Hilfe langfristiger Großkredite mit den Statussymbolen der Mittelschicht wie einem Auto und einem Haus ausgestattet.

Mittelschicht kollabiert

Nun, da diese Mittelschicht kollabiert, erkennt die Öffentlichkeit langsam diese Realität. Sie beginnt zu begreifen, dass die grenzenlose soziale Mobilität im Land schon immer ein Mythos war. Kurz vor Weihnachten wurde eine viel beachtete Studie veröffentlicht, die zeigt, dass es in den USA schwerer geworden ist als in Europa, von einer Generation zur nächsten die soziale Leiter empor zu klettern. Wer in den USA arm geboren wird, bleibt es meist auch.

Auf die kommende Wahl dürfte dieses neue Bewusstsein trotz allem noch keine allzu großen Auswirkungen haben. Auch Obama wird sich davor scheuen, allzu offen über Klasse zu reden – schon alleine, weil die Republikaner dann „Klassenkampf!“ schreien. Die Angst, diejenigen zu verprellen, die noch immer an die Ideologie der Durchlässigkeit der amerikanischen Gesellschaft glauben wollen, ist allseits noch zu groß. Doch das Thema, das einst gemieden wurde wie die Pest, wird so schnell nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden.

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