Stop the ‘Guantanamo Law’ on the Internet!

<--

Im Kampf gegen Raubkopierer planen die USA schwerste Eingriffe in das Internet. Bei allem Verständnis für den Schutz geistigen Eigentums – das geht zu weit.

Man sieht ihn seit Wochen heraufziehen, den großen Internet-Streik. Google, Facebook und andere hatten ihn bereits angekündigt, nun macht Wikipedia den Anfang. Aus Protest gegen ein in den USA geplantes Anti-Raubkopierer-Gesetz schließt die englischsprachige Ausgabe des Internet-Volkslexikons am Mittwoch für 24 Stunden seine Website.

Dahinter steht vor allem die Empörung gegen einen schwerwiegenden Eingriff, den der US-Gesetzentwurf im Falle von Urheberrechtsverletzung vorsieht. Kritiker wähnen einen Frontalangriff auf die Menschenrechte. Von einem „Guantanamo-Law“ für das Internet ist gar in Internetforen die Rede.

Es geht um die Manipulation einer zentralen Schaltstelle des Internet, des Domain Name Systems (DNS). Für die Kritiker dieses US-Gesetzentwurfes, des sogenannten „Stop Online Piracy Act“ (SOPA), sind durch ihn Grundrechte, zum Beispiel das Recht auf Meinungsfreiheit, bedroht.

Das Adress-Verzeichnis des Internets soll manipuliert werden

Denn wie eine Telefonauskunft stellt das DNS die Verbindung von maschinenlesbaren Internet-Adressen und klarschriftlichen Namen her. Also zum Beispiel die Zuordnung von www.welt.de zu dem computerlesbaren Adresscode, der den Aufruf der Netzsite überhaupt erst technisch möglich macht. Sollten tatsächlich, wie es der US-Gesetzentwurf vorsieht, Privatpersonen sogar ohne richterliche Anordnung bei Verdacht auf Verletzung von Urheberrechten in das Internet-Adresssystem eingreifen dürfen, würde das der Willkür Tür und Tor öffnen.

Es wäre, als ob Privatpersonen Zutritt bekämen zu einer zentralen Telefonvermittlungsstelle um ein paar Kabel herauszuziehen, andere einzustöpseln, gerade so, wie es ihnen in den Sinn kommt, um das weltweite Telefonsystem zu manipulieren.

Internet-Kriminelle haben es vorgemacht

Welche ungeheure Wirkmacht Eingriffe in das Adresssystem des Internet haben, wurde erst jüngst aller Welt nachvollziehbar, als ein weltweites Verbrecher-Netzwerk von Zombie-Rechnern ausgehoben wurde, das mit einem simplen Trick der DNS-Manipulation (DNS-Changer) weltweit Millionen von Internet-Benutzern fehlleitete und auf diese Weise Aber-Millionen von unrechtmäßig erzielten Netz-Werbeeinnahmen einstrich.

Wie kann es also sein, dass in den USA, wo Meinungsfreiheit so hoch geschätzt – und verfassungsrechtlich verankert – ist, ein solcher Eingriff in die Netzfreiheit möglich sein soll?

Die US-Filmindustrie sieht sich zu Recht bedroht

Erklärbar wird das Gesetzesvorhaben nur durch die existenzielle Bedrohung, der sich Medienkonzerne – vor allem die Filmindustrie – durch die verbreitete Raubkopiererei im Internet ausgesetzt sehen. Vor allem den Rechteinhabern, Produzenten und Verleihern von Kinofilmen steht das Beispiel der Musikindustrie als Schreckensbild vor Augen. Die Musikbranche war innerhalb weniger Jahre in den Grundfesten erschüttert worden, weil der ungehemmte Austausch von Musik im Netz weite Teile der Branche praktisch ruinierte.

Es dauerte lange, viele meinen zu Recht zu lange, bis die Musikindustrie aufwachte und ihre Geschäftsmodelle auf die Netz-Wirtschaft umstellte. Heute gibt es Musik im Netz zum Downloaden legal und überall. Trotzdem wird die Branche wohl noch lange brauchen, um sich von der Internet-Revolution und ihrer flächendeckenden Enteignung wieder zu erholen.

Der Niedergang der Musikindustrie ist abschreckendes Beispiel

Davor will sich vor allem die US-Filmindustrie nun schützen und erzeugte einen großen Lobbydruck auf den Gesetzgeber. Das Ergebnis ist der jetzt vorliegende Gesetzentwurf, der eine bemerkenswerte Koalition im Widerstand gegen das Vorhaben zusammenführte.

Denn an der Seite von Menschenrechtlern und den libertären Netzaktivisten stehen auch das Big Money der Netzindustrie, zum Beispiel Google und Facebook. Denn die neuen Herren der Netzwirtschaft haben sehr lange prächtig daran verdient, sich ihrerseits reichlich wenig um Urheberrechte und Datenschutz zu kümmern. Das Geschäft lief freilich auch sehr gut in den neu entstandenen rechtsfreien Räumen des Internet. Wie weit die Interessengleichheit von Google & Co. auf der einen und den Freiheitsfreunden im Netz auf der anderen Seite reicht, wird man sehen.

Konsumfreiheit contra Urheberrechte

Es geht also nicht nur um schrankenlose Konsumfreiheit contra Urheberrechte. Es geht auch um „alte“ Medienwirtschaft gegen „neue“ Netz-Ökonomie. Das muss wissen, wer sich jetzt im ersten Reflex gegen die Rechtebesitzer stellt, die berechtigte Sorgen um ihre Renditen – und nicht zuletzt auch ihre Arbeitsplätze – haben.

Die Antworte auf diese im Detail dann doch sehr komplizierten Fragen kann allerdings nicht der „Stop- Piracy Act“ a la US-Kongress sein, gegen den die Obama-Administration zum Glück in den letzten Tagen schon Vorbehalte hat erkennen lassen.

Der Geist der Freiheit darf nicht erstickt werden

Das Internet hat den Geist der Freiheit um die Welt wehen lassen, wie sich das zuvor kaum jemand hat vorstellen können. Von China bis in den Magreb, vonWeißrussland bis nach Myamar. Dahinter gibt es keinen Schritt zurück. Eine Verrechtlichung des Internets muss möglich sein, ohne bewährte Grundsätze von Meinungs- und Informationsfreiheit zu verletzen.

Das technische System des Internet muss geschützt werden vor beliebigen Eingriffen, und seien sie im Einzelfall auch noch so verständlich. Es ist auch nicht hinzunehmen, das Eingriffe von den USA aus in das Adresssystem des Internet für andere Staaten automatisch ebenso gelten. Es gibt ein übergeordnetes, internationales Interesse an rechstaatlichen Verfahrensweisen. Der US-„Piracy Act“ in dieser Form muss gestoppt werden.

About this publication