Pseudo-Konservative demontieren sich gegenseitig
Von Wolf Lepenies
14.03.2012
Barack Obamas Chancen auf Wiederwahl stehen auch deshalb nicht schlecht, weil seine Herausforderer darum streiten, wer der konservativste unter ihnen ist.
Die Lage für US-Präsident Obama ist nicht eben rosig. Die Arbeitslosigkeit geht nur langsam zurück, der Aufschwung der Wirtschaft ist nicht robust. Die Benzinpreise steigen, die Situation in Afghanistan verschlechtert sich, und mit dem Iran droht ein neuer Krieg. Und trotzdem: Gegenüber den republikanischen Präsidentschaftskandidaten ist Obama derzeit in allen Umfragen im Vorteil. Im Augenblick ist ein Sieg der „Grand Old Party“ im November schwer vorstellbar – ganz gleich, wie der Herausforderer des Präsidenten heißen wird.
Der interne Vorwahlkampf der Republikaner erweist sich als selbstmörderisch. Die einzelnen Präsidentschaftskandidaten demontieren sich gegenseitig – und sie tun es mit wachsender Aggressivität. Diese Aggressivität hat ihren Grund darin, dass Mitt Romney, Rick Santorum, Newt Gingrich und Ron Paul heftig darüber streiten, wer von ihnen der wirkliche, der echte Konservative ist. Und doch sind sie alle nur Pseudokonservative.
Von dunklen Mächten verfolgt
Der amerikanische Historiker und zweifache Pulitzerpreisträger Richard Hofstadter analysierte von 1954 bis 1965 in einer Reihe von Essays die „pseudokonservative Revolte“ der amerikanischen Rechten. „Pseudokonservativ“ nannte er einen Politiker, der vorgibt, für die traditionellen amerikanischen Werte und Institutionen zu kämpfen – und unbewusst an ihrer Abschaffung arbeitet, weil er sie gegen mehr oder weniger fiktive Bedrohungen verteidigt. Der Pseudokonservative fühlt sich von finsteren Mächten verfolgt.
Tagtäglich, so klagt er, werden seine individuellen Freiheitsrechte mehr beschnitten – von der Bundesregierung in Washington. Sein eigenes Land erscheint ihm als so geschwächt, dass es jederzeit einer Verschwörung zum Opfer fallen kann – und gleichzeitig sieht er es als so allmächtig an, dass es auf der ganzen Welt seinen Willen durchzusetzen vermag. Er hasst den „Sozialismus“ der europäischen Wohlfahrtsstaaten und widersetzt sich jeder Form der Entwicklungshilfe. Alle Aktionen der Regierung in Washington betrachtet er mit Misstrauen. Er verlangt eine Macht- und Kompetenzverschiebung vom Bund auf die Einzelstaaten.
Forderungen nach Verfassungsänderungen
Ob es sich nun um Romney, Santorum, Gingrich oder Paul handelt – sie alle geben vor, amerikanische Institutionen bewahren zu wollen – und würden sie schwächen, wenn sie an die Macht kämen. In herausragendem Maße gilt dies für die Kerninstitution des politischen Lebens der USA – die Verfassung. Die Gründerväter der USA hatten es bewusst schwer gemacht, die Verfassung zu ändern.
Änderungen oder Ergänzungen müssen jeweils von einer Zweidrittelmehrheit in Senat und Repräsentantenhaus sowie von drei Viertel der einzelnen Bundesstaaten ratifiziert werden. Der vorschnelle und zu häufige Ruf nach Verfassungsänderungen stellt den politischen Konsensus des amerikanischen Volkes infrage. Was könnte konservativen Grundsätzen mehr widersprechen?
Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten aber übertreffen sich im Verlangen nach der Rücknahme bestimmter Zusatzartikel zur Verfassung (Amendments). Ron Paul beispielsweise will es in Zukunft verbieten, Kindern illegaler Einwanderer, selbst wenn sie in den USA geboren wurden, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu verleihen – und propagiert damit die Aufhebung eines Verfassungszusatzes, der 1868 nach dem Ende des Bürgerkriegs geschaffen wurde.
Abschaffung der Bundeseinkommensteuer
Der rabiate Katholik Rick Santorum ging so weit, eine Rede John F. Kennedys, des ersten katholischen Präsidenten der USA, „zum Kotzen“ zu finden, weil Kennedy sich darin zur strikten Trennung von Staat und Kirche bekannte, wie es das erste Amendment der Verfassung verlangt. Und alle Kandidaten sprechen sich mehr oder weniger deutlich für eine Abschaffung der Bundeseinkommensteuer aus – und damit gegen einen Verfassungszusatz von 1913.
1964 erlebten die amerikanischen Pseudokonservativen einen Triumph, als Barry Goldwater auf dem Parteikonvent in San Francisco zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt wurde. Goldwater war ein erklärter Feind des Wohlfahrtsstaates, er wollte die Sozialversicherung ebenso abschaffen wie die Bundeseinkommensteuer und widersetzte sich allen Versuchen zur Reform des Gesundheitswesens. Zur Hochzeit des Kalten Krieges erklärte Goldwater, das amerikanische Volk habe von der Regierung in Washington mehr zu befürchten als von den Kommunisten in Moskau.
Ein prinzipienschwacher Opportunist
Goldwater war selbst vielen Republikanern zu radikal. Während seiner Dankesrede verließ demonstrativ ein prominenter Republikaner den Cow Palace in San Francisco, wo der Konvent stattfand. Es war George Wilcken Romney, der Gouverneur von Michigan. Romney befürwortete die Zahlung von Mindestlöhnen, eine höhere Arbeitslosenversicherung und die Entwicklungshilfe. In Goldwater sah er einen Feind der Bürgerrechte, die ihm heilig waren.
George Romney, ein Mann von Prinzipien, verließ den Konvent in Begleitung seines siebzehnjährigen Sohnes Mitt. Auf der Website des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney findet sich ein Zeitungsbericht aus dem Jahre 1964, den man so lesen kann, als ob der junge Mitt seinen Vater beim Auszug aus dem Cow Palace nicht nur begleitet, sondern aus der gleichen Prinzipientreue wie der Gouverneur von Michigan den Konvent verlassen hätte.
Viele Republikaner werfen Mitt Romney seine Prinzipienlosigkeit vor. Er gilt als Meister des „Flip-Flop“, der seine Meinung ohne Zögern ändert, wenn sie ihm nicht länger als mehrheitsfähig erscheint. Romney, der als Gouverneur von Massachusetts eine obligatorische Krankenversicherung einführte, profiliert sich heute als Gegner von „Obamacare“. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Mitt Romney Herausforderer Barack Obamas.
Romney ist kein zweiter Barry Goldwater. Goldwater war ein prinzipienstarker Fanatiker, Romney jun. ist ein prinzipienschwacher Opportunist. Aber auch Romney ist ein Pseudokonservativer. Konservativ sein heißt auch, an bewährten Überzeugungen festzuhalten – nicht, sie zur Disposition zu stellen, nur weil Mehrheiten winken. Die Lektion seines Vaters, die er als Siebzehnjähriger erhielt, hat Mitt Romney vergessen.
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