Rude Awakening from the American Dream

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Böses Erwachen aus dem Amerikanischen Traum

von Markus Ziener

20.03.2012

Die Chance, es weiter zu bringen – unabhängig von Herkunft, Erbe oder Netzwerken, das galt lange als „American Dream“. Zunehmende gesellschaftliche Schieflage führt dazu, dass er bedroht ist.

Es war das Thema der Occupy-Bewegung im vergangenen Jahr, und es war das Thema zu Beginn des republikanischen Vorwahlkampfs: Die wachsende soziale Ungleichheit in den USA hatte zuerst Tausende von Menschen gegen die Finanzelite der Wall Street auf die Straßen gebracht. Dann richtete sich der Zorn eines Teils der Öffentlichkeit gegen den Spitzenkandidaten der Republikaner, Mitt Romney. Der vielfache Millionär galt über mehrere Wochen als Sinnbild der ungerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen in Amerika.

Warum? Nicht nur hatte Romney sein Geld als kalt rechnender Firmensanierer verdient. Er zeigte auf Wahlkampfveranstaltungen auch noch wenig Herz für die Betroffenen von Konkurrenzdruck und Globalisierung. Spätestens im Herbst vor den Präsidentschaftswahlen wird das Streitthema deshalb mit voller Wucht zurückkehren. Denn das Team von Barack Obama wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Romney als rücksichtslosen Kapitalisten zu porträtieren.

Nur: Diese Diskussion geht am eigentlichen Kern des Problems vorbei. Denn was den Bürgern der USA vor allem Sorgen machen müsste, ist weniger die Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit. Denn sozial gerecht war die amerikanische Gesellschaft noch nie – und hat dies in Wahrheit auch noch nie angestrebt.

Mehr noch: Mit der Kritik der Occupy-Bewegung konfrontiert, ließen es sich manche prominente Politiker sogar nicht nehmen, diese als unamerikanisch zu geißeln. Der Unternehmer Herman Cain etwa, der noch vor ein paar Monaten so überraschend das Feld der Romney-Konkurrenten anführte, hatte wenig freundliche Worte für die Protestierer übrig: „Wenn ihr keinen Job habt und nicht reich seid – dann seid ihr selbst daran schuld.“ Für diese Einlassung erhielt Cain danach vor allem eines: Lob.

Die wirkliche Schwäche der amerikanischen Gesellschaft ist jedoch eine andere: Es ist die abnehmende soziale Mobilität.

Der Gesellschaftsvertrag Amerikas basiert seit dem Bestehen des Landes darauf, dass der Aufstieg zwischen den verschiedenen sozialen Klassen funktioniert oder wenigstens einigermaßen wahrscheinlich erreichbar ist. Daraus beziehen die USA bis heute einen Großteil ihrer Attraktivität: dass es in kaum einem anderen Land der Welt besser gelinge, Erfolg zu haben und sein Glück zu machen. Es ist diese Annahme, die über die vielen Nachteile des Lebens in Amerika hinwegsehen lässt – die Chance, es zu mehr zu bringen und dabei nicht von Herkunft, Erbe oder Netzwerken abhängig zu sein. Dies ist der Kern des „amerikanischen Traums“.

Doch diese Annahme ist inzwischen nicht mehr als ebendas – eine Annahme. Zwar werden die Politiker nicht müde, noch immer die großen Aufstiegschancen in den USA zu preisen. Doch schon seit Jahren stützen die Fakten nicht mehr die Vision vom „American Dream“. Nach Erhebungen der OECD, des Pew Charitable Trust, von Brookings und auch des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn liegen die Chancen des sozialen Aufstiegs in den USA inzwischen deutlich unter jenen in Schweden, Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Dass also ein Schwede oder ein Deutscher im Laufe seines Lebens seine Lebensumstände verbessert, ist inzwischen wahrscheinlicher, als dass dies einem Menschen in den USA gelingen wird.

Und ebenfalls gilt, dass ausgerechnet in jenem Land, das bis heute so viel auf Chancengleichheit hält, der familiäre Startpunkt mehr als anderswo die künftige Karriere bestimmt. So bleiben 42 Prozent der Amerikaner, deren Eltern im unteren Einkommensfünftel angesiedelt sind, auch selbst in dieser Schicht. Zum Vergleich: In Dänemark und Schweden ist dies bei nur 25 Prozent der Fall, in Großbritannien bei 30 Prozent.

An diesem Punkt kommt auch die soziale Ungleichheit ins Spiel. Denn auch das haben die Sozialforscher entdeckt: Je größer der Abstand zwischen Arm und Reich, desto schwieriger ist der Transfer zwischen den Klassen. Diese Kluft hat sich vor allem durch die Immobilienkrise noch weiter vertieft. Denn mit dem Verlust ihrer Häuser hat die amerikanische Mittelklasse ein zentrales Standbein eingebüßt. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist indes nur einer von mehreren Faktoren. Der technologische Fortschritt sowie der Aufstieg der Schwellenländer und damit der Druck auf die Löhne tragen mindestens genauso zu abnehmender Mobilität und wachsender Ungleichheit bei.

Nicht nur bei den Ursachen, auch bei Rezepten sind sich im Übrigen die Analysten einig: Einzig eine bessere Bildung kann den gegenwärtigen Trend stoppen oder gar umkehren. Denn kein anderer Faktor ist so sehr an den sozialen Status gekoppelt wie der Bildungsstand. In einem ehrlichen Wahlkampf müsste es daher vor allem darum gehen: um Schule, Lernen und Bildungsniveau. Nur leider lässt sich das im Wahlkampfstakkato nicht gut verkaufen.

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