Sex, Macht und kein Rock’n’Roll: Die neue Frauenfeindlichkeit in den USA
Von ANNELIESE ROHRER
23.03.2012
Geburtenkontrolle, Abtreibung, Familienplanung, Zwangsgesetze statt Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Umwelt: Der diesjährige amerikanische Wahlkampf ist voller Absurditäten.
Selbst manch ein erfahrener Beobachter meint, dass dem US-Wahlkampf in österreichischen Medien zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Welch ein Irrtum! Denn hier ist eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung im Gang, die weit über jeden modernen Richtungsstreit hinausgeht. Ein Land des Fortschritts, gefangen in einer völlig rückwärtsgewandten Debatte und einem „War on Women“, in dem Frauen zu Geiseln für eine versteckte Agenda genommen werden. Afghanistan weckt weniger Interesse als Verhütungsmethoden.
Im Kampf um die Präsidentschaft im November 2012 scheint Sex zum zentralen Thema geworden zu sein. Sex mit dem Geld der Steuerzahler, weil Frauen für die Pille auf Kosten von Krankenversicherungen eintreten; Sex, weil Gesetze in einzelnen Bundesstaaten Frauen zu demütigenden Untersuchungen vor einer Abtreibung zwingen wollen; Sex, weil Vertreter der rechten wie der linken Seite des politischen Spektrums einander in frauenfeindlichen Auslassungen und schmierigen Witzen übertreffen.
Die Uhren sollen gesellschaftspolitisch offenbar zurückgedreht werden – und das in einer Zeit, in der es eigentlich um Innovation, Jobs, Wirtschaft und Umwelt gehen soll! Die Diskussion um Geburtenkontrolle, Abtreibung, Pille etc. war in den Sechziger- und Siebzigerjahren so zu führen. Aber doch nicht jetzt! Und schon gar nicht von jenen Republikanern der rechten und extrem rechten Seite, die sich sonst jede Einmischung des Staates in das Leben des einzelnen Bürgers verbieten. Der Staat als Feind in deinem Büro, aber nicht in deinem Schlafzimmer? Verwirrter, erschreckender und absurder kann ein Wahlkampf in einem hoch entwickelten Land wohl nicht geführt werden.
Warum jetzt und warum so? Weil es in Wahrheit gar nicht um Sex, Abtreibung, Familienplanung und schon gar nicht um Moral gehen kann. Alles vorgeschobene Argumente. Es geht um die Macht des weißen, von anglo-sächsischen Männern dominierten Amerika und um jenen Rassismus, der nicht offen zugegeben werden kann und dessen einziges Ziel es ist, Barack Obama aus dem Amt zu treiben.
Die neue Frauenfeindlichkeit wurde von der katholischen Kirche angestoßen und ist von Teilen der Republikaner bereitwillig aufgenommen und verstärkt worden. Der Aufschrei der Bischöfe gegen einen Gesetzesentwurf Obamas (Pille als Pflichtleistung der Krankenversicherungen) wurde zu einer zusätzlichen und willkommenen Waffe gegen Obama. Da werden auf der einen Seite Studien hervorgeholt, die Abtreibung mit Brustkrebs in Verbindung bringen, auf der anderen Seite Vorwürfe erhoben, Geburtenkontrolle auf Republikanisch solle wohl ein „Vatikanisches Roulette“ werden.
Aus europäischer Sicht wirkt das alles mehr als befremdend. Auf Seite der Republikaner ist die Fixierung auf das Thema Sex entweder mutig oder dumm, bedenkt man die unzähligen Sexskandale in ihren eigenen Reihen. Ihre Widersacher und die betroffenen Frauen schlagen aber auch nicht mit dem R-Wort, also dem Rassismusvorwurf, zurück.
Warum also jetzt, warum also so? Weil die mögliche Wiederwahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten die Angst der weißen US-Eliten vor weiterem Macht- und Einflussverlust in einer zunehmend nicht weißen Gesellschaft in Panik umschlagen lässt. Und das soll uns in Europa nicht interessieren?
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