America Has Not Overcome the Original Sin of Slavery

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Der gewaltsame Tod des Teenagers Trayvon Martin in Florida zeigt: Es ist immer noch lebensgefährlich, ein Schwarzer in Amerika zu sein. Statt der Gerichte verhandeln Medien und Demonstranten den Fall.

Amerikas Schwarze verlangen Gerechtigkeit für ihren „Märtyrer“; Amerikas Präsident erkennt in dem getöteten Jungen trauernd den Sohn, den er nie hatte; Amerikas Waffenlobby geht – kurzfristig – in Deckung: Der gewaltsame Tod von Trayvon Martin , der in Florida von einem paranoiden Nachbarschaftsschützer erschossen wurde, weil er zur falschen Zeit durch das falsche Viertel ging und eine Kapuze trug, stürzt das Land in einen Rassenkonflikt , der nach Barack Obamas Wahl verdrängt und fast vergessen schien.

Was Tausende Demonstranten in Trauergottesdiensten und Protestzügen von San Francisco bis Atlanta, von Chicago bis Washington besonders aufbringt, ist, dass der mutmaßliche Selbstjustizmord nicht geahndet wurde. Der Todesschütze lebt unangetastet, wenngleich aus Furcht untergetaucht, in Freiheit. Ein Selbstverteidigungsgesetz macht es in Florida möglich, auf eine gefühlte Bedrohung von Leib und Gut mit tödlicher Präventivgewalt zu antworten. Und ohne Anklage davonzukommen.

Todesschütze lebt unangetastet

Der Fall Trayvon Martin erteilt mindestens drei Lektionen: Obamas „post-rassistische“ Präsidentschaft war eine Illusion; es bleibt lebensgefährlich, ein junger Schwarzer in Amerika zu sein. Die Waffenlobby, angeführt von der National Rifle Association (NRA), die 2005 das sogenannte „Stand your ground“-Gesetz in Florida durchzusetzen half, macht Fortschritte auf dem Weg zurück in die Zeit des Faustrechts.

Es war, drittens, die Macht der sozialen Medien, die Trayvons Tod vom lokalen Skandal zum nationalen Fanal texteten. Hunderttausende Nachrichten in Twitter und Facebook bildeten ein digitales Scherbengericht, bevor die traditionellen Medien den Fall zum ersten Mal wahrnahmen. Man mag es ermutigend oder (wie der Todesschütze George Zimmerman) erschreckend finden: Arabische Diktatoren müssen ebenso wie nordamerikanische Freizeitpolizisten heute wissen, dass ihre Taten bekannt werden.

Zärtliche Liebe zur Waffe

Es war der Druck der Empörungswelle im Netz, der Washington zum Handeln zwang. US-Justizministerium und FBI untersuchen den Fall, der ergraute Bürgerrechtler in Erinnerungen an ihre Kämpfe in den 60er-Jahren zurückversetzt. Es ist müßig, die Waffenvernarrtheit der Amerikaner zu beklagen. Solange Mehrheiten in Bund und Staaten diese zärtliche Liebe zur Waffe im Haus, in der Kirche, in der Universität hegen, ist jedes kritische Wort verschwendet.

Allenfalls darf man an diese Liebe erinnern, wenn Amerikaner glauben, ihr Land sei das ersehnte Modell der übrigen Welt für Demokratie, inneren Frieden und Lebensqualität. In ebendiesem Zusammenhang darf man auch fragen, wie rechtsstaatlich es zugeht in 20 Bundesstaaten, die nach dem Vorbild Floridas die einst gültige Bürgerpflicht, einer Konfrontation auszuweichen, durch das Recht ersetzten, auch außerhalb des eigenen Heims sein Terrain zu verteidigen: „Stand your ground“.

Jeder Tourist kann in die Falle geraten, für irgendwen irgendwo eine gefühlte Bedrohung darzustellen. Soll man Florida-Reisenden raten, sich vorbeugend mit Waffen zu versorgen? Wenig ist dort leichter als das.

Zimmerman war sein eigener Vollstrecker

Noch sind die Einzelheiten der Tat ungeklärt. So gibt es zwei Darstellungen, was der 17-jährige Trayvon Martin, zu Besuch aus Miami in einem Vorort Orlandos, am 26. Februar tat und was man ihm antat. Die Familie und Freunde des Jungen schwören, er habe Tee und Süßigkeiten gekauft, nichts weiter, sei von Zimmerman verfolgt, gestellt und ermordet worden. Zimmermans Anwalt macht geltend, Martin habe seinen Mandanten angegriffen, ihm mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen und seinen Kopf auf das Pflaster geschlagen.

Welche Darstellung der Wahrheit näher kommt, ist hier nicht zu entscheiden. Bizarr und fatal bleibt die Tatsache, dass Martin tot ist und Zimmerman frei. Ohne Festnahme, ohne Entscheid eines Untersuchungsrichters, einfach nur, weil die Polizei ihm seine Notwehrgeschichte glaubte. Zimmerman war sein eigener Vollstrecker, Schöffe und Richter. Statt eines Gerichts verhandeln Medien und Demonstranten den Fall.

Amerikas Erbsünde ist die Sklaverei, seine alltägliche Geißel die Gewalt. Ein Viertel der Strafgefangenen der Welt sitzen in Gefängnissen des Landes, das fünf Prozent der Weltbevölkerung stellt. Auf einen weißen oder hispanischen Häftling in US-Haftanstalten kommen sechs Schwarze; jedes Jahr sterben Hunderte schwarze Teenager durch Schusswaffen.

„Stand your Ground“-Notwehr

Nicht selten ermordet von anderen Schwarzen, von Drogendealern und Gangmitgliedern. Von Gangstern, die sich seit 2005 in Florida zunehmend auf „Stand your Ground“-Notwehr berufen. Die Zahl solcher Fälle hat sich verdreifacht; Ermittler und Staatsanwälte hatten vor diesem perversen Effekt gewarnt, als die NRA das Parlament in Florida aufpeitschte.

Jedem Schurken und jedem selbst ernannten Nachbarschafts-Sheriff würden hier Präventivvollmacht und Straffreiheit garantiert, die man ausgebildeten und vereidigten Beamten (zu Recht) vorenthält. Dass es Trayvon Martin, einen schwarzen Jugendlichen, traf, mag tatsächlich ein schrecklicher Zufall gewesen sein. Dieses Mal.

Doch Amerikas Schwarze haben jahrhundertealte Gründe, sich verfolgt zu fühlen. Im Jahr 2005, als Floridas „Stand your ground“-Gesetz in Kraft trat, beschloss der US-Senat, sich für ein Versagen formell zu entschuldigen: Es war der Kammer in 200 Anläufen im Kongress nie gelungen, ein Anti-Lynchgesetz zu verabschieden, das Selbstjustiz, zumal an Schwarzen, verboten hätte. Demokraten aus dem Süden, „Dixie Democrats“, hatten dies immer zu verhindern gewusst, noch Ende der 60er-Jahre kam es zu Lynchmorden.

Stereotyp des „criminalblackman“

Im Bewusstsein der meisten Amerikaner ist die Farbe des Verbrechens noch immer schwarz. Popkultur und Sportstars tun ihren Teil, auch Statistiken und Projektionen dienen dazu, das Stereotyp das „criminalblackman“ zu nähren, wie ihn die US-Kriminologin Katheryn Russell Brown nannte.

Schwarze Väter berichten in diesen Tagen auf anrührende Weise von dem mahnenden Gespräch, das sie alle eines Tages mit ihren Söhnen führen: „The Talk“ klärt die Jungen auf, dass sie in Lebensgefahr sind, weil andere sie für gefährlich halten. „Mach keine falsche Bewegung auf der Straße, renne und schreie nicht“, beschwören sie ihre Söhne, „sprich Polizisten mit Sir an, widersprich niemals – sei Luft und lebe.“ Trayvon Martin war einer dieser Söhne. Er hatte keine Chance.

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