America’s Angry Right Feels Betrayed

<--

Amerikas Wutbürger fühlen sich verraten

Von Henryk M. Broder

30.04.2012

Obama ist kein richtiger Amerikaner, der US-Kongress eine Bande von Dieben und die eigene Partei “widerlich”. Zu Gast bei Aktivisten der Tea Party, dem extremen Flügel der US-Republikaner.

Würde der Allmächtige auf die Idee kommen, auf der Erde leben zu wollen, wo würde er dann seine Zelte aufschlagen?

Natürlich in Virginia, denn der Bundesstaat im Osten der USA ist “God’s own country” – davon sind die Virginier ebenso fest überzeugt, wie sie an Gott glauben. Die Kirchen tragen Namen wie “Jerusalem”, “Holy Land” und “Galilee”; auf den Billboards werden Sprüche der Propheten gepostet, sogar beim Einchecken in ein Motel schallt dem Gast ein herzliches “God bless you!” entgegen.

Mit etwa acht Millionen Einwohnern auf 43.000 Quadratmeilen gehört Virginia zu den kleineren, aber relativ dicht besiedelten Staaten der USA. Natürlich sind die Virginier von Natur aus konservativ und eher den Republikanern als den Demokraten zugetan. Sie haben auch einen ausgeprägten Sinn für law and order.

Im Café liest man die “Crime Times”

In den Cafés und Shops entlang den Landstraßen liegt weder der “New Yorker” noch der “Rolling Stone” aus, dafür aber die “Crime Times”, eine Wochenzeitung, die zu 90 Prozent aus Steckbriefen von Frauen und Männern besteht, die von den County Sheriffs gesucht werden, weil sie ohne Führerschein oder unter Drogen Auto gefahren sind, nicht vor Gericht erschienen, Familienangehörige verprügelt, sich ihrer Festnahme widersetzt oder betrunken randaliert haben.

In Deutschland würde sofort der Datenschutzbeauftragte eingreifen, aber wer in Virginia lebt, hat an dieser Praxis nichts auszusetzen. Wie Arthur Carver III, Rentner, Mitte 60. Er hat lange bei Coca Cola gearbeitet und sich nie um Politik gekümmert. Das holt er jetzt nach .

“Der Kongress will Amerika zerstören”

Er fährt einen Chevy-Bus, den er in eine rollende Litfaßsäule verwandelt hat. Die Parolen in den Fenstern sprechen eine klare Sprache: “Der Kongress ist eine Bande von Dieben, die es darauf abgesehen haben, Amerika zu zerstören.” Arthur ist zu einer Tea Party unterwegs. Ob ich mitkommen und das wahre Amerika erleben möchte?

Die Tea Party findet im Bingo-Saal der Feuerwehr von Lively statt. Lively hat eine Tankstelle, eine Bar, einen kleinen Supermarkt, ein Restaurant und zwei Antiquitätenläden.

Als wir eintreffen, hat die Party schon angefangen. Dem Alter der Besucher nach zu urteilen, könnte es auch die Happy Hour in einem Altersheim sein. Und multipliziert man die Zahl der 40 Anwesenden mit dem geschätzten Durchschnittsalter, kommt man auf etwa 2800 Jahre.

Alle sind sich einig – “Obama muss weg”

Ohne Jon Mendelez läge das Ergebnis noch höher. Jon ist erst 26, hat schon vier Jahre bei den Marines gedient, arbeitet für eine Regierungsbehörde, deren Namen er nicht nennen will, und möchte gerne als Delegierter an der Convention der Republikaner Ende August in Tampa/Florida teilnehmen, auf der die “Grand Old Party” ihren Kandidaten für das Amt des Präsidenten wählen wird.

Also fährt Jon von einer Tea Party zur nächsten und stellt sich der Basis vor. “Was hat uns Obama gebracht?”, fragt er. Natürlich ist es nur eine rhetorische Frage, die Antwort liegt in der Luft. “Mehr Steuern, mehr Vorschriften, weniger Freiheit!”

Das sei “unmoralisch und nicht verfassungsgemäß”, er wolle sich dafür einsetzen, dass Obama nicht wiedergewählt wird. “Das bin ich meiner Generation schuldig!” Es ist eine kurze Rede, die mit einem ebenso kurzen Beifall belohnt wird. Denn darin sind sich alle einig: Obama muss weg!

Republikanern fehlt die Basis

Nach Jon spricht Nancy Smith, sie hat über 30 Jahre an einer Schule für behinderte Kinder gearbeitet, vor einem Jahr den Job aufgegeben und beschlossen, in die Politik zu gehen. Ihr Großvater war ein Tabakfarmer, ihr Vater hat in Korea gekämpft; sie sei von Geburt an konservativ und wolle nicht da sitzen und zuschauen, wie Virginia von den Demokraten überrannt wird.

“Es ist höchste Zeit, das Blutvergießen zu stoppen!” Mit ihrer Initiative “We r Virginia” will sie der Republikanischen Partei Beine machen, denn: “Die Demokraten sind viel besser organisiert, sie wissen, wie man einen Wahlkampf führt und wie man die Leute dazu bringt, sie zu wählen.”

Obama werde in diesem Jahr eine Milliarde Dollar im Wahlkampf ausgeben, sagt Nancy, davon 100 Millionen allein in Virginia. Leider könne man sich auf die Republikaner nicht verlassen, viele von ihnen seien “disgusting”, zum Kotzen, deswegen müsse die Basis ihnen jetzt auf den Pelz rücken.

Das Problem sei aber: Die Republikanische Partei habe, anders als die Demokraten, keine Basis, ihre Sprecher würden lieber in Talkshows sitzen als auf dem Lande klinken putzen.

“Obama gibt unser Geld mit vollen Händen aus”

Don (65) und Rita (75) Johnson mögen weder die Demokraten noch die Republikaner. Am liebsten würden sie einen unabhängigen Kandidaten wählen – wenn es denn einen gäbe. Vor vier Jahren haben sie zähneknirschend John McCain gewählt, dieses Jahr werden sie, ebenso lustlos, für Mitt Romney stimmen. “Er ist das kleinere Übel.”

Don und Rita geht es gut. Er hat für IBM gearbeitet, sie bei Hewlett Packard. Sie haben genug gespart und das Geld klug angelegt. Trotzdem plagt sie das Gefühl, sie würden enteignet und entmündigt. “Obama gibt unser Geld mit vollen Händen aus.”

Die Regierung in Washington sei zu groß und habe zu viel Macht, sie müsse sich auf ihre eigentlichen Aufgaben beschränken, Außen- und Verteidigungspolitik, und alles Übrige den Bundesstaaten überlassen.

Wutbürger made in USA

Aber hinter den nachvollziehbaren Argumenten lauert das Ressentiment. “Obama ist kein Amerikaner”, sagt Sherry Pitts, 67, “er handelt nicht wie ein Amerikaner, er schätzt unsere Werte nicht”. Er sei “aus dem Nichts” aufgetaucht, seine Geburtsurkunde “gefälscht”.

Mit Amerika gehe es “bergab”. Ob sie sich vorstellen könnte, einen Demokraten zu wählen? Das habe sie einmal getan, sagt Sherry, könne sich aber nicht mehr erinnern, wer es war. “Ich weiß nur noch, dass ich es später bereut habe.”

Jon, Nancy, Don, Rita, Sherry und deren Freunde von der Tea Party sind Wutbürger – made in USA. Aufgewachsen mit der Überzeugung, dass jeder für sich verantwortlich ist und dass der Staat sich nicht in die privaten Angelegenheiten der Bürger einmischen sollte – sei es die Erziehung der Kinder oder die Krankenversicherung – fühlen sie sich von der Politik verraten, auch von den Republikanern.

Politprofi muss Ärger der Basis ertragen

Und sie lassen ihren Ärger an dem einzigen Politprofi im Saal aus, William F. Blocher, 71 Jahre alt, seit über 40 Jahren bei den Republikanern dabei und “Vice Chairman” des “Republican Committee” im Bezirk Lancaster.

Seine Vorfahren sind Mitte des 19. Jahrhunderts aus Württemberg eingewandert. Der Ururgroßvater, ein pietistischer Prediger, hieß Johann Georg Blocher. Einer seiner vielen Ururenkel zählt neben DJ Bobo zu den wenigen Schweizern, die auch außerhalb der Schweiz bekannt sind: Christoph Blocher, Milliardär und konservativer Politiker.

“Ich würde ihn gerne mal kennenlernen”, sagt William F. Blocher. Wie sein entfernter Verwandter hat auch er klein angefangen, als Drucker. Heute führt er ein Software-Unternehmen mit 50 Mitarbeitern.

Wir verabreden uns für den nächsten Morgen, zum Frühstück im Kilmarnock Inn, einem feinen Bed & Breakfast-Hotel aus dem 19. Jahrhundert.

Jeder kennt jeden

Verglichen mit Lively kommt einem Kilmarnock beinah wie eine Großstadt vor, obwohl nur 1400 Einwohner entlang der Main Street leben. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem Kaufmann aus Schottland gegründet, ist es eine der Bilderbuchgemeinden, die für das ländliche Amerika typisch sind: gepflegt, gemütlich und gemächlich.

Jeder kennt jeden, und auch der Fremde auf der Straße wird mit dem üblichen “How’re you doing today?” begrüßt. Hier hat man noch Zeit füreinander, obwohl gerade der Wahlkampf tobt: drei der sechs Sitze im Gemeinderat stehen zur Neuwahl an.

“Washington verbrennt unser Geld”

Betty, Marilyn, Susan und Gladys ist das egal. Sie treffen sich jeden Mittwoch im Kilmarnock Inn zu einer Bridgeparty, die von morgens um zehn bis abends um acht Uhr dauert. Die Politik und das Geldverdienen überlassen sie ihren Männern. Während die Ladies die Karten krachen lassen, bespricht William F. Blocher mit dem Bürgermeister von Kilmarnock, Raymond Booth jr., wie sie die Basisarbeit der Republikaner in Lancaster County verbessern könnten.

Booth, 51, wurde 2007 zum Chef der Planungskommission berufen und machte den Job so gut, dass ihn die Bürger von Kilmarnock 2010 zu ihrem Bürgermeister wählten. Es ist ein Ehrenamt, Booth bekommt 2600 Dollar aus der Stadtkasse – jährlich.

Er ist freilich auf das Bürgermeistergehalt nicht angewiesen. Ihm gehören eine große Gärtnerei und eine Firma für Landschaftsgestaltung. Er war noch nie bei einer Tea Party – “dafür habe ich keine Zeit” – aber er will auch, dass die Regierung in Washington aufhört, “unser Geld zu verbrennen”.

“Wir machen, was wir für richtig halten”

Denn Booth versteht etwas von Ökonomie. Der Haushalt von Kilmarnock beträgt drei Millionen Dollar und ist ausgeglichen. Die Reserven belaufen sich auf acht bis neun Millionen. Theoretisch könnte die Stadt drei Jahre lang auf Steuern verzichten, bis die Rücklagen aufgebraucht wären. Aber das kommt nicht in Frage, das wäre “unverantwortlich”. Wenn alle Gemeinden in den USA so gut geführt würden, sagt Booth, “wäre das Land in einem besseren Zustand”.

Natürlich hofft auch Booth darauf, dass Obama im Herbst abgewählt wird. “Er ist hier nicht sehr beliebt.” Aber er würde keine Wette eingehen. Und egal, wer im Weißen Haus das Sagen hat, “wir in Kilmarnock machen, was wir für richtig halten”.

Die nächste Tea Party findet in Montross statt. William F. Blocher wird nicht dabei sein. Das Grummeln der Basis ist überall gleich.

About this publication