US-Wahlkampf zeigt klare Fronten, aber keine Orientierung
von Sabine Muscat
16.08.2012
Romney vs. ObamaUS-Wahlkampf zeigt klare Fronten, aber keine Orientierung
Kommentar Im US-Wahlkampf polarisiert der republikanische Vizekandidat Paul Ryan mit seinem Budgetentwurf. Für die Wähler bleibt im hitzigen Streit unklar, wer welches Ziel verfolgt.
Mitt Romney hat den McCain gemacht, könnte man wohl sagen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat war zuletzt in den Umfragen zurückgefallen und brauchte ein Aufputschmittel für seinen Wahlkampf. Er griff auf ein Rezept zurück, das sich bei seinem Vorgänger 2008 nicht bewährt hat: Er wählte einen Vizekandidaten, der die Basis motiviert und das Land polarisiert. Die Populistin Sarah Palin begeisterte damals einen Teil der konservativen Wähler mit ihrem Antiintellektualismus. Beim anderen Teil machte sie sich lächerlich, weil sie kaum einen geraden Satz sagen konnte. Paul Ryan ist keine Palin. Der smarte Jungstar der Partei hat mit der Syntax keine Probleme. Sein Problem ist, dass er das Land mit seinen Ideen spaltet.
Mit der Wahl des Kongressabgeordneten Ryan hat Romney auch dessen Haushaltsplan ein Gütesiegel erteilt. Dieser Etatentwurf, hinter dem sich die Republikaner im Repräsentantenhaus versammelt haben, stellt die Amerikaner angeblich endlich vor eine klare Wahl. Für Republikaner ist es die Wahl zwischen Obamas Ausgabensucht und Ryans Haushaltsdisziplin. Für Demokraten ist es die Wahl zwischen sozialer Gerechtigkeit und skrupellosem Neoliberalismus. Wer zwischen beiden Lagern schwankt, muss sich im November entscheiden, welche Sicht auf die Welt ihm plausibler erscheint und welche Opfer er für angemessen hält, um die Staatsfinanzen auszugleichen.
Wenn es doch nur so einfach wäre. Denn die Linien, die beide Seiten im Wahlkampf ziehen, sind nicht nur grob gezeichnet, sondern verschleiern, worum es wirklich geht. Die Demokraten verteufeln den falschen Teil des Ryan-Plans. Die Republikaner verschließen die Augen vor der Tatsache, dass die Gesamtrechnung nicht aufgehen kann. Und Mitt Romney versucht weiterhin, jede Festlegung auf klare Positionen zu vermeiden.
Das Obama-Lager stürzt sich auf den Teil des Plans, der sich am besten ausschlachten lässt: auf die Umgestaltung der staatlichen Krankenversicherung für ältere Bürger. Ryan will das System zum Teil privatisieren, denn die Gesundheitskosten der Senioren sind die größte Zeitbombe im Etat. Budgetexperten halten den Plan im Grundsatz für vernünftig; Varianten davon finden sich in einer Reihe überparteilicher Analysen. Im Wahlkampf ist das egal. Zu verlockend ist die Aussicht für die Demokraten, den Rentnern in entscheidenden Staaten wie Florida einen Schrecken einzujagen. In einem beispiellos geschmacklosen Wahlwerbespot einer Gruppe, die Obama unterstützt, wird die Oma im Rollstuhl über eine Klippe geschubst. Kein Wort davon, dass Ryans Reform erst für folgende Generationen gelten würde, die Zeit hätten, sich auf die Umstellung vorzubereiten – wogegen eine Reihe von Medicare-Kürzungen, die in Obamas Gesundheitsreform enthalten sind, schon nächstes Jahr greifen.
Ryans Medicare-Plan mag nicht perfekt sein, zumal er keine zufriedenstellende Antwort darauf gibt, wie die Rentner vor den dramatisch steigenden Kosten im Gesundheitssektor geschützt werden können. Aber er ist einer der wenigen Politiker, die den Mut haben, dieses heiße Eisen überhaupt anzufassen. Wer den US-Haushalt langfristig auf eine solide Basis stellen will, muss sich die Sozialsysteme vorknöpfen. Ryans Problem liegt darin, dass er das, was er über Kürzungen einnimmt, mit der anderen Hand wieder ausgeben will: über saftige Steuersenkungen für Unternehmen und den wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Damit bestätigt er das Klischee, das die Obama-Kampagne schon vorher über Romney geprägt hatte: Romney Hood sei einer, der den Armen nimmt und den Reichen gibt. Unter dem Ryan-Plan würde der Multimillionär Romney fast gar keine Steuern mehr bezahlen. Denn die Steuern auf Kapitalerträge fielen weg.
Damit würde der Ryan-Plan das Wohlstandsgefälle im Land weiter verschärfen. Und er würde sein eigenes Ziel, die Reduzierung des Defizits, erst nach vielen Jahren und unter großen Opfern erreichen. Die Reform der Sozialsysteme alleine würde nicht reichen, um die Steuergeschenke auszugleichen. Staatliche Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und arme Bürger müssten gnadenlos zusammengestrichen werden. Eine von Obama eingesetzte überparteiliche Defizitkommission war zu einer faireren Lastenteilung gekommen. Der Haushalt müsste zu je einem Drittel über Reformen der Sozialsysteme, über Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen finanziert werden. Erhöhungen wohlgemerkt. Ryan spielte eine Schlüsselrolle dabei zu verhindern, dass dieser Plan Gesetz wurde.
Die größte Verwirrung von allen aber stiftet Mitt Romney. Es war schon immer leichter, einen Pudding an die Wand zu nageln, als Romney auf eine Position festzulegen. Und so will Romney die Wahl des Vize nicht als Empfehlung für dessen Haushaltsplan verstanden wissen. Ryan würde den Verteidigungsetat, seit jeher ein Steckenpferd amerikanischer Konservativer, vor drohenden Kürzungen schützen. Romney würde ihn sogar massiv ausweiten. Bei den Steuersenkungen ist er zurückhaltender als Ryan: Er würde seine eigenen Kapitalertragssteuern nicht abschaffen, sondern nur Haushalte mit einem Einkommen von bis zu 200.000 Dollar im Jahr von diesen Abgaben befreien.
Am meisten tänzelt Romney um das Thema Medicare herum. In seinem Wahlprogramm lobt er Ryans Vorschlag, aber dann heißt es: “Romneys eigener Plan als Präsident wird anders sein, aber er wird die Ziele teilen.” Was Romney selbst machen würde, darüber lässt er die Amerikaner weiter im Dunkeln – und erlaubt es seinen Gegnern, ihm den Plan seines Vize um die Ohren zu hauen. Der Erkenntnisgewinn für die Wähler ist bei so viel Taktiererei auf beiden Seiten nicht sehr groß. E-Mail muscat.sabine@guj.de
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