Obamas rote Schlangenlinie
“Obama droht Syrien mit Militäreinsatz”, melden die Medien in aller Welt. Was ist geschehen? Der US-Präsident hat eine “rote Linie” gezogen, aber ein Lineal hatte er nicht dabei. Alles bleibt vage, und den Syrern ist kein bisschen geholfen.
Wenn Wahlkampf ist in den USA, dann stellen die Beteiligten gern Plakatwände auf, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Und da sie ihre Wähler für so dumm halten, wie große Teile der Medien sie gerne machen, verschwinden die schwierigeren Themen hinter sehr einfachen Parolen. Das soll ja nicht nur dort so sein.
Die Debatte darüber, wie dem syrischen Volk zu helfen sei, hat auf diese Weise längst die Qualität einer simplen Ja-Nein-Frage erreicht: Wer jetzt nicht bombt, sagt Obamas republikanischer Herausforderer Mitt Romney sinngemäß, setzt die Führungsrolle der USA aufs Spiel. Und selbst Madeleine Albright, Außenministerin unter dem Demokraten Bill Clinton, tönt: “Wir können es uns nicht leisten, in einer Sackgasse zu stecken, während Menschen getötet werden.”
Es ist das uralte Schwarzweiß-Bild der Bellizisten, das wir jedes Mal vorgehalten bekommen, wenn wieder einmal ein Konflikt (unter vielen anderen, die der Westen untätig betrachtet oder gar schürt) zum Symbol für vermeintlich humanitäre Handlungsfähigkeit stilisiert wird. Noch jedes Mal wird dann so getan, als laute die Alternative “Bomben oder Nichtstun”, als lasse die Syrer kalt lächelnd sterben, wer sie nicht mit tödlichen Waffen “befreit”. So schnell gehen Moral und Krieg in eins.
Dass diese Logik weniger der realen Befreiung des syrischen Volkes dient als der symbolischen Befreiung der Bellizisten aus dem Dilemma eines furchtbar komplexen Konflikts – zu kompliziert, um damit Wahlkampf zu betreiben, in den USA oder anderswo. Obama musste und muss also reagieren. Er muss den Rest von Vernunft, die seine Administration beherrscht, wahren. Und er muss zugleich denen, die auf die platte Logik der Kriegsbefürworter hereinfallen könnten, ein bisschen eisernes Futter geben.
Konkret sagt Obama – nichts
Da klingt es sicher ganz gut, von einer “roten Linie” zu reden nach dem Motto “Ich kann auch anders”. In der Sache allerdings lässt sich ziemlich genau bestimmen, was Obamas Äußerung konkret besagt: nichts. Die “rote Linie” besteht nämlich darin, dass “eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt werden”. Das ist ungefähr so, wie wenn Mutti oder Vati dem Kleinen mit Taschengeld-Entzug droht, falls er noch “ziemlich oft” das Schwesterchen schlägt.
Was hinter der dummen Debatte wieder einmal verschwindet, ist die ernsthafte Frage, wie die Weltgemeinschaft wirklich helfen könnte, unterdrückte Völker von ihren Despoten zu befreien. Wer wie wir Deutschen in einem Land lebt, das mit militärischen Mitteln von einer Schreckensherrschaft befreit wurde, wird solche Mittel nicht ohne Begründung in Bausch und Bogen verwerfen können. Aber zu den Lehren der Geschichte gehört es auch, den Grundsatz zu verteidigen, dass Krieg nur ein allerletztes Mittel sein kann, wenn überhaupt.
Als Weg der Befreiung aus explosiven politischen Konstellationen taugt das Bomben gerade in Nah- und Mittelost erfahrungsgemäß eher nicht: siehe Afghanistan, siehe Irak. Mehr als irgendwo sonst hat hier die Interessenpolitik der Weltmächte die Konflikte, die man jetzt wegbomben zu können glaubt, entscheidend geschürt. Das täte nichts zur Sache, wenn irgendjemand glaubhaft machen könnte, dass zusätzliche Sprengsätze am Pulverfass weniger Menschenleben fordern werden als der jetzt wütende Bürgerkrieg. Aber dafür gibt es, gerade in Syrien, wenige Anzeichen. So furchtbar es ist: Es könnte sich trotz der Brutalität des Assad-Regimes als die humanitär bessere Alternative erweisen, die Geduld für eine Politik der Sanktionen und der aktiven Diplomatie zu behalten. Niemand kann diese Prognose endgültig beweisen. Aber Krieg führen, weil man es nicht so genau weiß? Die Pflicht der Bellizisten wäre es doch, Belege zu liefern, dass der Krieg wirklich Menschenleben rettet. Und nebenan, im Iran, böte sich die Gelegenheit, den Weg der Deeskalation konsequent zu suchen und den israelischen Fantasien vom erfolgreichen Befreiungsschlag weiter zu widerstehen.
Krieg wird zur Wähler-Währung
Hat Obama, der Friedensnobelpreisträger, in Wahrheit all das im Kopf? Bestimmen die genannten friedlichen Maßstäbe seine Politik? Ist die vage Kriegsdrohung gar Teil der Strategie mit dem Ziel, es nicht so weit kommen zu lassen? Und redet er nur von “roten Linien”, weil die wahre Linie seiner Politik zu kompliziert ist für den Wahlkampf? Es spräche für die Qualität des Präsidenten, wenn es so wäre, aber es spräche auch Bände über Politik in Zeiten des Wahlkampfs.
Der Krieg ist längst zur Währung geworden, mit der man Wähler kauft, zumindest in den USA. Erstaunlich, wie schulterzuckend wir das zur Kenntnis nehmen.
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