Dirty Harry in Tampa, a Glorious Bastard

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Dirty Harry in Tampa, ein glorreicher Halunke

Von Alan Posener

31.08.2012

Für seinen Auftritt kassiert Clint Eastwood viel Häme – zu Unrecht. Denn der 82-jährige Schauspieler Eastwood vertritt auf dem Parteitag der Republikaner das anständige Amerika.

Für einen Augenblick stockt der Beifall im Saal. Da liest Clint Eastwood den Delegierten der Republikanischen Partei die Leviten. Eben noch hat er mit dem Ausruf: “Dieses Land gehört uns!” auf dem Nominierungsparteitag der Grand Old Party frenetischen Jubel ausgelöst. Doch dann sagt der alte Western-Haudegen: “Und die Politiker sind bloß unsere bezahlten Angestellten. Wenn sie ihren Job nicht ordentlich machen, müssen wir sie entlassen.” Das dämpft die Stimmung ein wenig. Vorübergehend jedenfalls.

Denn wie alle Parteileute glauben die Republikanischen Getreuen, die Wahrheit gepachtet zu haben; meinen sie, nicht nur den kompetenteren Kandidaten fürs Weiße Haus zu besitzen, sondern auch einen moralischen Anspruch darauf. Nein, sagt Eastwood. Mach den Job. Bring die Jungs aus Afghanistan heim. Hol die 23 Millionen Arbeitslosen von der Straße. Dann sehen wir weiter. Thomas Jefferson lässt grüßen.

Wie er da steht, der 82-Jährige, mit unfrisierbaren weißen Haaren, wie er mit der leicht brüchigen Stimme eines alten Mannes redet, wie er – der große Schauspieler – so tut, als habe er sich in seinen eigenen Gedanken verheddert, um dann in nur zehn Minuten auf den Punkt zu bringen, was der hölzerne Mitt Romney oder der aalglatte Paul Ryan nicht in einer Stunde zu sagen vermögen: das ist, wieder einmal, großes Kino. Und wieder einmal wird Eastwood in seinem eigenen Land nicht verstanden. Die Reaktion der Kritiker und Kollegen auf seinen Auftritt ist vernichtend.

Seine liberalen Filme kann dieses Publikum nicht mögen

Doch schon der junge Eastwood wurde in Hollywood nicht goutiert. Es war der italienische Regisseur Sergio Leone, der ihn 1964 entdeckte und mit dem Spaghetti-Western “Für eine Handvoll Dollar” zum Star machte. Darin spielt Eastwood einen Mann, der zwei Gangsterfamilien aufeinander hetzt und dabei von beiden Geld nimmt. Als er aber von einer Mexikanerin gefragt wird, warum er als Weißer ihr hilft, sagt er “Ich kann Ungerechtigkeit nun mal nicht leiden.”

Er habe, sagt Eastwood auf dem Parteitag der Republikaner, auch vor Rührung geweint, als Barack Obama gewählt wurde, auch wenn er ihn nicht gewählt hat. Auch da ist der Saal still, denn die Partei Abraham Lincolns ist nicht mehr, wie sie es noch in den 1950er Jahren war, die Partei des schwarzen Amerika. Heute aber, sagt Eastwood dann, weint er wegen der 23 Millionen Arbeitslosen.

Eastwood kann Ungerechtigkeit nun einmal nicht leiden. Die Filme, die er als Regisseur inszeniert, rühren an Tabus: Die Todesstrafe (in “Ein wahres Verbrechen”); die Euthanasie (“Million Dollar Baby”); die Verteufelung des Gegners im Krieg (“Letters from Iwo Jima”); den Rassismus (“Gran Torino”); die Homosexualität des FBI-Chefs Hoover (“J.Edgar”). Das sind nachdenkliche, zutiefst liberale Autorenfilme, die vermutlich nur wenige der in Tampa versammelten rechtskonservativen Kulturkrieger gesehen, schon gar nicht gemocht haben dürften. Stattdessen rufen sie immer wieder: “Make my day!”

Eastwood zieht sich mit Ironie aus der Affäre

Dirty Harry wollen sie; den Polizisten, der im Kampf gegen das Unrecht schon mal das Gesetz links liegen lässt. Der seine Pistole auf den Verbrecher richtet und sagt: “Du fragst dich sicherlich, ob da noch eine Kugel drin ist. Tu mir den Gefallen: Lass es darauf ankommen. Go ahead, punk: Make my day!” Eastwoods Dirty Harry hat Schule gemacht. Das Gefühl, der Rechtsstaat helfe vor allem den Bösen, sei im Zweifel zur Disposition zu stellen, wenn es gegen die “bad guys” geht, wirkt fort, bis nach Abu Ghraib und Guantanamo.

Auch davon spricht Eastwood: Dass es Barack Obama nicht gelungen sei, das Gefangenenlager zu schließen, und dass es eine Schnapsidee gewesen sei, die Drahtzieher von 9/11 in Manhattan vor Gericht stellen zu wollen.

Aber er hält keine Antiterror- oder Law-and-Order-Suada; und was Dirty Harry angeht, zieht er sich mit Ironie aus der Affäre. “OK, ich fange an”, sagt er, “Ihr müsst es zu Ende führen. Go ahead…” Und so verlässt der Alte das Podium, während die Delegierten “Make my day” brüllen, als stünde der Punk Barack Obama leibhaftig vor ihnen und wolle jeden Augenblick den Colt ziehen.

Eine Kundgebung des Nicht-so-tuns

Mit einem imaginären Obama hat Eastwood auf der Bühne gesprochen; von ihm lässt er Mitt Romney ausrichten, er solle sich selbst ficken. Das Publikum ist pikiert. Eastwood gelassen. So reden Politiker nun einmal, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind, tun wir nicht so. Überhaupt ist sein Auftritt eine Kundgebung des Nicht-so-tuns.

Tun wir nicht so, als ob es in Hollywood nur Linke gibt. Tun wir nicht so, als wären alle Demokraten linksradikal und alle Republikaner rechtsextrem. “Es gibt viele anständige Leute bei den Demokraten, bei den Libertären, bei den Republikanern”. Ein Witz, der für ein parteiisches Publikum fast zu subtil ist. Auch in Amerika, erinnert er sein Publikum, werden Wahlen in der Mitte gewonnen.

Mag sein, dass die Delegierten die Augen zusammenkniffen und auf der Bühne den vierzigjährigen Eastwood sehen – den Mann, der die Brutalität und die Doppelmoral des europäischen Westerns zurück ins allzu zahme und familientaugliche Hollywood brachte. Eastwood selbst gibt den 82-Jährigen. Schon vor 20 Jahren – in “Erbarmungslos” – zelebrierte er geradezu das Gebrechen, spielte einen alternden Revolverhelden, dessen Wille, gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen, stark, dessen Fleisch aber schwach ist.

Den verwirrten Alten spielt er nur

Auf dem Parteitag scheint er fahrig; macht Pausen, horcht in sich, wie es Alte nun einmal tun. Aber seine Augen sind wach. Es sind die Augen eines Mannes, der die Höhen und Tiefen der Partei gesehen hat: Dwight Eisenhower und Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush; und der die Republikaner daran erinnert, dass sie immer gut waren, wenn sie die Partei des anständigen Amerika waren, das Ungerechtigkeit nun einmal nicht leiden kann.

Die Häme, die über Clint Eastwood ausgegossen wird, ist auch Häme über das Alter. Vergleicht man die Konsequenz seines filmischen Lebenswerks als Schauspieler und Regisseur mit dem Hü und Hott Mitt Romneys als Politiker, die Weisheit seiner Verteidigung der Volkssouveranität mit dem Geschrei der Tea-Party-Ideologen, dann weiß man: Amerika wäre ein besserer Ort, wenn es mehr Republikaner wie Clint Eastwood gäbe.

Insgeheim wissen das die Republikaner auch; und die Demokraten. Am Ende von “Für eine Handvoll Dollar” sind die verfeindeten Familien erledigt, und der einsame Held reitet in die Abendsonne hinein. Auch daran erinnert der glorreiche Halunke Clint Eastwood durch seinen großen Auftritt in Tampa.

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